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Landeszeitung Lüneburg: "Opfer des teuflischen Vertrages" - Interview mit Prof. Crister Garrett über die Abstrafung von Barack Obama und die große Herausforderung der Republikaner

Lüneburg (ots)

"Ich habe euch verstanden", sagte Barack Obama nach dem Desaster der Demokraten bei den Kongresswahlen. Und tatsächlich gehört diese Wahlniederlage vor allem dem US-Präsidenten. "Die Wähler folgten der Tradition bei US-Zwischenwahlen, den Präsidenten abzustrafen", analysiert Professor Crister Garrett, der als Amerikaner an der Uni Leipzig Amerikanistik lehrt. Der Sieg der Republikaner sei zweischneidig, so Garrett: "Sie haben jetzt bei der Gesetzgebung das Sagen. Bleiben die Republikaner dabei, zu blockieren statt zu gestalten, werden die Wähler ihnen die Regierungsfähigkeit absprechen - und das wäre vor den Präsidentschaftswahlen 2016 verheerend."

Obama versprach "Change". Hält er sein Versprechen anders als beabsichtigt? Er scheint eine nach rechts gerückte USA zu hinterlassen...

Prof. Crister Garrett: Nicht das ganze Land ist unter ihm nach rechts gerückt. Sicher sind große Teile der Republikaner populistischer geworden, auch, um den Einpeitschern von der Tea Party zu gefallen. Die Demokratische Partei erlebte dagegen eher einen Linksruck, mit dem er sich im Regierungsgeschäft auseinandersetzen musste. Das Problem ist aber, dass die Mitte der amerikanischen Politik geschrumpft ist. Dort wurden bisher die Kompromisse geschmiedet.

Die Arbeitslosenquote halbiert, die Jahrhundert-Gesundheitsreform durchgedrückt, die Börse gezähmt und zumindest versucht, die Kriege in Afghanistan und Irak zu beenden: Anderen Präsidenten würde man mit so einer Bilanz einen Glorienschein verleihen. Wieso kommt Obama so schlecht weg?

Prof. Garrett: Diese Frage wird durch den Blick auf vier Bundesstaaten beantwortet, die parallel zu den Zwischenwahlen über einen Volksentscheid über eine Anhebung des Mindestlohnes von 7,25 auf 9,75 Dollar abstimmen ließen. In allen diesen republikanisch regierten Staaten - Alaska, South Dakota, Arkansas und Nebraska - fand sich eine große Mehrheit. Das heißt, obwohl die Arbeitslosigkeit tatsächlich halbiert worden ist, sind die neuen Jobs prekär, weil sie Familien nicht ernähren oder nur befristet sind. Die Unsicherheit über die fragile wirtschaftliche Lage hat demokratische wie republikanische Wähler ergriffen. Hinzu kommt, dass US-Präsidenten fast grundsätzlich bei Zwischenwahlen baden gehen. Ausnahmen waren 1934 Franklin D. Roosevelt, der in der großen Rezession erst zwei Jahre an der Macht war und einen Bonus erhielt; 2002 erhielt George W. Bush nach 9/11 einen Vertrauensvorschuss; ebenso Bill Clinton 1998 als die Wirtschaft mit der Internet-Blase scheinbar hervorragend lief.

Die Macht war zwischen dem Weißen Haus und den Häusern des Kongresses schon sehr oft geteilt, auch bei Reagan und Clinton. War die politische Landschaft aber je so polarisiert wie derzeit in den USA?

Prof. Garrett: Ja, denkt man etwa an die 60er-Jahre zurück, als reale Ängste vorhanden waren, dass das Land in einem Bürgerkrieg versinkt, weil der Vietnam-Krieg und die Bürgerrechtsbewegung das Land tief spalteten. Aber obwohl Reagan und Clinton in ähnlichen Konstellationen regieren mussten, hatten sie den Vorteil, dass es im Kongress eine Mitte aus republikanischen und demokratischen Vertretern gab, die geneigt waren, sachorientiert Kompromisse zu schließen. Hier konnten Präsidenten ihre Mehrheiten suchen. Das ist heute sehr viel schwieriger, weil diese Mitte geschrumpft ist, etwa durch neue Wahlkreiszuschnitte und den Generationswechsel in Washington.

Hat er deswegen überhaupt noch eine Chance, Probleme durch Gesetzgebung zu lösen?

Prof. Garrett: Nur, wenn die zwei neuen Hauptfiguren lernen, höflich miteinander zu tanzen: Zum einen Mitch McConnell aus Kentucky, der mutmaßliche neue Mehrheitsführer im Senat, und John Boehner aus Ohio, der Sprecher des Repräsentantenhauses. Diese beiden Republikaner leben nur etwa 170 Kilometer voneinander entfernt, jetzt haben sie im Kongress das Sagen. Boehner hat bereits Kompromissbereitschaft signalisiert, er hat große Schwierigkeiten mit dem Tea-Party-Flügel in seiner Partei. Beide stehen unter mächtigem Druck, mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2016 zu zeigen, dass die Republikaner überhaupt regieren können.

Wird Obama bei der Einwanderungs- und bei der Klimapolitik auf Präsidialverordnungen setzen? Und wie lange bleiben diese gültig?

Prof. Garrett: Wenn in der Vergangenheit diese präsidialen Machtbefugnisse eingesetzten wurden, überdauerten sie nur selten den nächsten Machtwechsel - etwa die Executive Order 9981 von Harry S. Truman, über die Gleichbehandlung aller US-Army-Soldaten - ungeachtet ihrer Hautfarbe. Meist wurden diese Verordnungen aber umgehend gekippt, Gesetze sind langlebiger. In Sachen Klimapolitik wird Obama nichts mehr durch den Kongress bekommen. Würde er versuchen, die Einwanderungspolitik zu lockern, dürften die Republikaner sofort die Gerichte bemühen. Andererseits wissen die Republikaner um ihr massives demographisches Problem. Noch zählen rund 30 Prozent der Amerikaner zu den Minderheiten, Schwarzamerikanern, Hispanos, Einwanderer aus Asien und Afrika. Nach den Prognosen sind die USA aber 2050 ein sogenanntes Minderheiten-Mehrheitsland, das heißt, es gibt keine ethnische Mehrheit mehr. Langfristig muss sich die Republikanische Partei anders in Sachen Einwanderung positionieren.

Sehen Sie bei den Republikanern jemandem mit dem Format, die notwendige Öffnung zu ethnischen Minderheiten einzuleiten, um nicht irgendwann strukturell mehrheitsunfähig zu werden?

Prof. Garrett: Ein Name wird in diesem Zusammenhang immer wieder genannt: Marco Rubio, der Senator aus Florida. Er kommt aus der Tea-Party-Ecke und hat familiär kubanische Wurzeln. Derzeit versucht er sich etwas moderater zu positionieren, zeigt sich bei Auslandsreisen staatsmännisch. Er wäre in dieser Hinsicht ein ernstzunehmender Kandidat. Aber auch andere wären zu nennen wie Rand Paul, der in der Einwanderungspolitik einen liberalen Kurs verfolgt.

Scheiterte Obama an übergroßen Heilsbringererwartungen zu Beginn?

Prof. Garrett: Ja, er wurde ein Opfer des teuflischen Vertrages, den jeder Präsidentschaftskandidat eingehen muss. Um ins Weiße Haus zu kommen, muss man viel Poesie einsetzen, um eine derart zersplitterte Wählerschaft hinter dem eigenen Banner zu scharen. Das ist Obama gelungen wie vor ihm schon Clinton, Reagan oder John F. Kennedy. Aber für jeden Präsidenten kommt der Tag nach der Wahl, an dem er die Wähler ernüchtert. Obama hatte zwar viel versprochen, aber man muss auch einschränken, dass die Wähler gehört haben, was sie hören wollten. So hat Obama bereits am Tag des Amtseides eine sehr nüchterne Auflistung der harten Herausforderungen abgeliefert, nicht nur seine Vision. Dass nicht nur die Politik in den USA polarisiert ist, sondern auch die Wählerschaft, kam man auch am Wahlergebnis ablesen. Viele Ergebnisse waren sehr sehr eng. Obwohl die Republikaner siegten, bekamen sie kein uneingeschränktes Vertrauen geschenkt. Obama selbst ist im sechsten Jahr seiner Amtszeit. Was er nun erleben musste, ist dem nicht unähnlich, was andere Präsidenten vor ihm erlebt haben.

Mitch McConnel, Fraktionsführer der Republikaner im Senat, will Obamacare beerdigen. Wird es ihm gelingen, etwa über Budgeteinschnitte?

Prof. Garrett: Eigentlich hat Obama sein Projekt gut abgesichert. Weil er selbst in der Mitte der Demokraten anzusiedeln ist, vermied er allzu sozialromantische Exzesse. Auch Kürzungen von Etats gehören zu seiner Amtszeit. So haben sich die Bundesausgaben pro US-Bürger in den vergangenen sechs Jahren auf eine Art und Weise reduziert, wie das Land das seit den 40er-Jahren nicht mehr erlebt hat. Nach diesen bereits heftigen Einschnitten kommt es darauf an, wo Mitch McConnel schneiden möchte. Die üblichen Verdächtigen, das Bildungs- und Umweltressort, können nur Peanuts erbringen. Große Summen kann der Rotstift nur erbringen, wenn er im US-Rentensystem ansetzt oder bei der Krankenversicherung. Medicare, die garantierte Krankenversicherung für alle US-Bürger über 65 Jahre, dürften die Republikaner kaum anrühren - weil die Senioren in den USA wie die in Deutschland fleißige Wähler sind. Bliebe noch Medicaide, die garantierte Krankenversicherung für alle, die unter die Armutsgrenze gerutscht sind. Die Republikaner haben die Krankenversicherung für die Ärmsten schon einmal ins Visier genommen, prompt rutschten ihre Umfragewerte.

Könnte eine Politik der Frontalkonfrontation mit dem Präsidenten dem Tea-Party-Flügel Auftrieb verleihen und sogar die Gefahr einer Spaltung der Republikaner hervor?

Prof. Garrett: Genau in diesem Spannungsfeld bewegt sich die Partei. Eine Totalblockade würde die Demokraten und Obama schwach aussehen lassen, aber irgendwann bekommt man dafür die Rechnung präsentiert. Wenn man die Tea-Party-Vertreter im Kongress beruhigen will, indem man ihnen Futter liefert, schwächt man die Partei im ganzen Land. Noch ist die Partei in dieser Frage zerstritten. Wer etwa Senator werden will, muss eine moderate, ausgewogene Politik betreiben wie für ein mittelgroßes europäisches Land. Für alle Ambitionen, ins Weiße Haus zu gelangen, wäre eine Aufrechterhaltung der Blockade ebenfalls kontraproduktiv. Die Republikaner müssen sich also fragen, wann sie wieder ins Oval Office wollen. Noch kann die Partei ihren Wahlerfolg genießen, aber sie steht vor großen Problemen - demografisch, politisch und strategisch.

Ist das gut oder schlecht für Hillary Clintons Ambitionen?

Prof. Garrett: Hillary Clinton kommt gut an bei männlichen, weißen Wählern, also bei der Klientel der Tea Party. Auch die Wechselwähler, immerhin ein Drittel aller US-Wähler, hegen Sympathien für Hillary und lehnen zugleich Blockadepolitik massiv ab. Sollten die Republikaner also auf Blockade setzen, werden sie 2016 viele Wechselwähler ins Lager der Demokraten treiben. Und das kann ausschlaggebend sein. Bleibt es beim Patt in Washington D.C. werden diese Wähler den Schluss ziehen, dass die Republikaner einfach nicht regierungsfähig sind.

Das Interview führte

Joachim Zießler

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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