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Landeszeitung Lüneburg: "Bodo Ramelow ist nur Camouflage, hinter der Partei die Linke steht immer noch die SED" Interview mit der Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld.

Lüneburg (ots)

Am 5. Dezember soll der bundesweit erste Ministerpräsident der Linken im Thüringer Landtag gewählt werden. Ein Vorgang, der Vera Lengsfeld, einstige Bürgerrechtlerin in der ehemaligen DDR, gar nicht gefällt. Für sie steckt hinter der Partei Die Linke immer noch die SED und damit eine Partei, die "verantwortlich für das Unrecht in der DDR war", wie sie im Interview mit unserer Zeitung erklärt.

Um den 25. Jahrestag zum Mauerfall gab es einen großen Medien-Hype. War Ihnen das zu viel?

Vera Lengsfeld: In meinen Augen wurde der Jahrestag nicht mit den richtigen Mitteln gewürdigt. Der Mauerfall war ja kein Life-Style-Event, obwohl man genau diesen Eindruck haben konnte, denkt man an die Lichtgrenze in Berlin - sondern ein tiefgreifendes historisches Ereignis, nämlich die Abschüttelung einer Diktatur und der Fall des Eisernen Vorhangs. Und das kam mir alles zu kurz. Im Grunde genommen ist das Wort Mauerfall nicht richtig, denn die Mauer wurde eingerissen von den Menschen, die sie nicht länger ertragen wollten.

Welche Bedeutung hat für Sie Freiheit - vor dem Hintergrund, in einer Art Diktatur aufgewachsen zu sein?

Lengsfeld: Freiheit ist für mich der höchste Wert, und ich bin fest überzeugt, dass auch eine Gesellschaft die Freiheit als ihren höchsten Wert ansehen müsste oder sollte, denn ohne Freiheit besteht immer wieder die Gefahr, dass sich hinter dem Rücken der Menschen Strukturen einschleichen, die ihre Freiheit beschneiden. Und wir haben in den vergangenen 25 Jahren immer wieder erlebt, dass Sicherheit gegen Freiheit ausgespielt wird.

Sicherheit ist aber auch ein wichtiges Element im Leben...

Lengsfeld: Ja, aber ich denke dann immer an Staatssicherheit... Wirkliche Sicherheit kann es gar nicht geben. In einer offenen Gesellschaft ist das Versprechen von Sicherheit mit Einschränkungen verbunden. Wichtiger ist, dass Menschen sich frei entwickeln können, ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen können, ein selbst bestimmtes, selbst verantwortliches Leben zu führen. Denn wer es lernt, Verantwortung für sein Leben zu übernehmen, der fühlt sich auch verantwortlich für die Gesellschaft. Und wenn sich möglichst viele verantwortlich für die Gesellschaft und ihre Entwicklung fühlen, dann ist das die beste Sicherheit für die Zukunft.

Politische Erfahrung nach der Wende haben Sie zunächst als Bundestagsabgeordnete für die Grünen gesammelt. Wie stehen Sie heute zu der Partei?

Lengsfeld: Ich habe die Grünen 1996 verlassen, weil sie damals schon den Beschluss gefasst haben, mit der damaligen PDS - also der umbenannten SED, heute Linke - Koalitionen einzugehen. Mir war klar: Ich habe nicht den besten Teil meines Lebens damit verbracht, die SED von ihrer Macht zu entfernen, um sie später wieder ins Boot zu holen.

Rot-Rot-Grün ist auch jetzt ein Thema. In Thüringen, Ihrem Heimatbundesland, könnte demnächst die Linke den Ministerpräsidenten stellen. Von Katastrophe über Rückschritt bis hin zu Chance reichen die Reaktionen im Vorfeld. Wie lautet Ihre Einschätzung?

Lengsfeld: SED/Linke sind in der Situation, dass sie es niemals allein schaffen können, sondern nur weil SPD und Grüne bereit sind, ihr die Steigbügel zu halten, unter zum Teil völlig abenteuerlichen Begründungen wie "die Linke müsse jetzt mal regieren, damit sie sich endlich mal der Vergangenheit stellt". Umgekehrt wird ein Schuh draus! Die Linke hatte 25 Jahre Zeit, sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Stattdessen hat sie sich lediglich viermal umbenannt und damit so getan, als wäre sie inzwischen eine Partei, die mit dem DDR-Regime nichts mehr zu tun hat. Sogar am jüngsten 9. November, anlässlich des 25. Jahrestages, haben Gysi, Kipping und Riexinger noch mal eine Erklärung abgegeben, dass sie sich für den Stalinismus in der DDR entschuldigen. Aber der Stalinismus war 1953 - mit Stalins Tod - zu Ende. Danach gab es nur das SED-Regime und dafür entschuldigen sie sich nicht, dafür übernehmen sie bis heute keine Verantwortung.

Immerhin wurde im Koalitionsvertrag festgehalten, dass die DDR ein Unrechtsstaat gewesen ist.

Lengsfeld: Ja, aber das ist eine rein taktische Sache. Denn erstens hat es so eine Vereinbarung schon vor 5 Jahren gegeben, als es ebenfalls in Thüringen einen Anlauf zu einer rot-rot-grünen Regierung gab. Nur da stand zumindest noch drin, dass die SED verantwortlich für das Unrecht in der DDR war. Heute heißt es nur noch, dass die DDR ein Unrechtsstaat war, aber wo das Unrecht herrührte, dazu sagen sie nichts. Kaum war die Tinte trocken, hat Ramelow auf einer Parteikonferenz gesagt, das das nur eine Protokollnotiz war. Und als die Grünen ihn dazu zur Rede stellten, kam nur ,Oh, das ist mir in der freien Rede so rausgerutscht.' Das Spiel wiederholte sich in einem Namensartikel Ramelows in der Ostthüringer Zeitung. Er schrieb da, dass der Begriff Unrechtsstaat falsch ist und nicht verwendet werden wird. Nach Protesten der Grünen ließ er mitteilen, dass sein Name versehentlich unter den Artikel, den andere geschrieben hätten, geraten sei. Das entlarvt diese Formel als reine Taktik, um an die Macht zu kommen.

Aber Bodo Ramelow ist ein Wessi - und ehemaliger Gewerkschafter. Ist das kein Zeichen dafür, dass ein Wandel eingetreten ist?

Lengsfeld: Nein, er ist eine Schaufensterpuppe. Die SED/Linke hat es immer mit großem Geschick verstanden, alle Leute, die von außen kamen und nicht nach SED aussahen, nach vorne zu schieben und mit sichtbaren Posten zu versehen. So war es auch mit Angela Marquardt (inzwischen ist sie bei der SPD), die als Punkerin Bundestagsabgeordnete wurde. Da hieß es 'Oh, wenn diese Partei eine Punkerin in den Bundestag schickt, dann muss es doch eine andere Partei sein.' Aber das war ein Trugschluss, sie war nur Camouflage. Mit Ramelow ist es ähnlich.

Dennoch ein Beispiel, das Schule machen kann?

Lengsfeld: Ja, das hat die Linke auch schon angekündigt. In einem Deutschlandradio-Gespräch hat Wulf Gallert, Linke-Fraktionsvorsitzender in Sachsen-Anhalt, angekündigt, dass er vorhabe, der nächste Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt zu werden. Mehrfach ist von den Linken darauf hingewiesen worden, dass die rot-rot-grüne Mehrheit im Bundestag bereits vorhanden sei, sie müsse nur aktiviert werden.

Friedrich Schorlemmer, ebenfalls ein DDR-Bürgerrechtler, vertritt die Meinung "Einbinden ist besser als Ausgrenzen". Er habe kein Problem mit einem Linke-Ministerpräsidenten.

Lengsfeld: Das mag ich eigentlich gar nicht kommentieren. Das ist von Schorlemmers Seite her geschichtsversessen und anbiederisch, einfach unter seinem Niveau.

Immer häufiger wird Ihre Nähe zur AfD angeprangert. Kann es sein, dass Sie bald wieder das Parteibuch wechseln?

Lengsfeld: Nein, das ist lächerlich. Außerdem ist das ein einzelner Journalist, der das in Umlauf gebracht hat und von dem fleißig abgeschrieben wird. Ich habe mich immer dafür eingesetzt, dass man zwar mit der AfD sprechen muss. Ich halte es für absolut kontraproduktiv und für einen ganz schweren Fehler, dass die CDU so hysterisch und mit Ausgrenzungsdrohungen agiert. Ich bin schon deshalb dagegen, weil im Fall SED/Linke, die nun wirklich eine Partei ist, die in ihrer Vergangenheit Verbrechen verübt hat, à la Schorlemmer argumentiert wird 'Einbinden statt ausgrenzen', aber im Fall der AfD, wo Wähleranalysen zeigen, dass sie Zulauf aus allen Parteien und Gesellschaftsschichten hat, da wird wird plötzlich die Rote Karte gezogen. Völlig irrational und leider auch undemokratisch.

Die AfD sieht Asylbewerber als Gefahr für unser Sozialsystem. Ist das nicht gerade für Sie, die politische Unterdrückung am eigenen Leib erfahren hat, ein "No-Go"?

Lengsfeld: Ich habe mich nicht intensiv mit dem Parteiprogramm der AfD beschäftigt, aber ich weiß, dass sie sich im Wahlkampf dahingehend positioniert haben, dass wir ein Einwanderungsland sind und daher dringend ein Einwanderungsgesetz benötigen, zum Beispiel nach dem Vorbild von Kanada. Und das finde ich richtig. Denn diesbezüglich herrscht bei uns zurzeit das absolute Chaos. Bündnis 90/Die Grünen hatten übrigens schon zu meiner damaligen Zeit ein solches Gesetz vorgelegt und sind von allen Parteien verhöhnt worden - mit dem Hinweis, dass Deutschland weder ein Einwanderungsland sei noch eines werde. Inzwischen hat die Realität uns eingeholt, wir sind ein Einwanderungsland, aber ein Gesetz gibt es nicht. Es fehlen Regeln, nach denen Einwanderer zu uns kommen können. Wir haben lediglich das Asylgesetz, doch was ist mit den Leuten, die auf anderen Wegen zu uns kommen wollen und sollen?

Noch mal zurück zur AfD. Sie werden als Kolumnistin von der Partei nahestehenden Organen gelistet. Warum? Lengsfeld: Also ich schreibe schon Jahre für die "freieWelt", die es schon viel länger gibt als die AfD. Es handelt sich in keiner Weise um eine Parteizeitung. Ich habe sogar fürs ND geschrieben, weil ich die Genossen piesacken wollte mit meiner Meinung. Es gibt bestimmte Blätter wie die Nationalzeitung, für die ich nicht schreiben würde. Das Publizieren auf verschiedenen Kanälen entspricht einfach meinem Verständnis von Pressefreiheit.

Sie haben ein Jahr im Exil in England gelebt. Warum wollten Sie damals eigentlich auf gar keinen Fall in die BRD verbannt werden?

Lengsfeld: Weil uns Widerständlern immer vorgeworfen wurde, wir wären nicht wirklich an den politischen Themen interessiert, sondern wir würden das alles nur machen, um in die BRD zu kommen. Diesen Vorwurf wollte ich auf gar keinen Fall bedienen. Später wurde ja sogar behauptet, wir wären alle bezahlte Agenten.

Sie sprechen oft von Liberalismus. War die FPD nie eine Option?

Lengsfeld: Nein, eigentlich nicht. Aber das hatte auch relativ praktische Gründe. Als kleine Bundestagsgruppe Bündnis 90/Die Grünen wollten wir die Öffnung der Stasi-Akten, ein Vermächtnis der freigewählten Volkskammer. Aber wir mussten uns Unterstützer in den anderen Partien suchen, denn wir selber durften keine Gesetze einbringen. Wir mussten ein Quorum von mindestens 5 Prozent der Kollegen des Bundestages dazu bringen, unsere Initiative zu befürworten. Und dann hat sich zu unserer großen Überraschung herausgestellt, dass die Unterstützer nicht, so wie dachten, vor allen aus der SPD, aber auch aus der FDP kamen, sondern aus der CDU.

Wie stehen Sie zu Religion und Kirche?

Lengsfeld: Ich bin zwar getauft, aber eher atheistisch erzogen worden. Später im Pankower Friedenskreis, den eine junge Pastorin leitete, kam ich in einen Frauenbibelkreis und das endete bei mir mit einer Erwachsenenkonfirmation. Was ich für absolut notwendig halte, ist eine Trennung von Staat und Kirche. Denn am Beispiel des Islamischen Staat sieht man, wie verheerend es ist, wenn es keine klare Trennung gibt.

↔Das Interview führte

↔Dietlinde Terjung

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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