Landeszeitung Lüneburg: Freude über neue Farbpalette
Michael Kellner, Grünen-Bundesgeschäftsführer: Für Rot-Grün reicht es 2017 nicht mit Gabriels "CDU light"
Lüneburg (ots)
Während Europa im griechischen Drama vor hektischen Krisengipfeln brummt, sind sie nur Zaungäste: Den Grünen bleibt als Opposition im Bund nur die Möglichkeit, die Akteure zu mahnen. Michael Kellner soll das ändern. Er ist politischer Bundesgeschäftsführer der Grünen, in anderen Parteien hieße er Generalsekretär. Er ist aber skeptisch, dass das niedersächsische Modell Rot-Grün auch im Bund zieht: "Stand jetzt wird das nichts. Deshalb bin ich froh über jede andere Koalitionsformation in den Ländern."
Die Energiewende war das Prestigeprojekt der großen Koalition. Wo steht dieses Projekt jetzt nach der Streichung der Kohleabgabe?
Michael Kellner: Das war wieder ein Paradebeispiel dafür, wie die große Koalition Großes ankündigt, um am Ende nur heiße Luft zu liefern. Für den Klimaschutz brachte das alles gar nichts.
Ist der Bestandsschutz für 20 000 Jobs im Bergbau ein notwendiger, sozialverträglicher Kompromiss auf dem Weg zur Energiewende?
Kellner: Hier wurden vor allem Chancen für neue Jobs im Bereich der Erneuerbaren Energien verpasst. Das Festhalten am Kohlebergbau gefährdet das Klima und über die Belastung durch Feinstaub und Quecksilber unsere Gesundheit. Was wir brauchen, ist ein sozialverträglicher Ausstieg aus der Kohle und nicht solche Fehlentscheidungen.
Während die OECD den Ausstieg aus der Kohleverstromung anmahnt, sollen in Deutschland Kohlekraftwerke als Stand-by-Sicherheitsreserve alimentiert werden. Nährt dieser Kompromiss die Illusion, Energiewende und Kohle wären vereinbar?
Kellner: Klimaschutz und Kohle als Tandem sind eine Illusion, die letztlich nur den Interessen der Energiekonzerne dient. Wenn wir so weitermachen mit dem CO2-Ausstoß, wird die Erde für uns Menschen bald unbewohnbar. Deshalb haben mehr als 30 Nobelpreisträger vergangene Woche radikalen Klimaschutz gefordert und sich dabei in die Tradition der Nobelpreisträger gestellt, die vor 60 Jahren vor der Atombombe gewarnt hatten. Deutschland beweist, dass es als entwickeltes Industrieland die Energiewende stemmen kann. Nun müssen wir den nächsten Schritt gehen: den vollständigen Ausstieg aus der Kohle und den weiteren Ausbau der Erneuerbaren.
Sigmar Gabriel stand gegen Bergbau-Gewerkschaften, NRW-Genossen, Stromkonzerne und Union auf verlorenem Posten. Hätten Sie mehr Rückhalt der Klima-Kanzlerin für ihren Vize erwartet?
Kellner: Das ist ein Versagen der großen Koalition in Gänze. Es ist bemerkenswert, dass die Kanzlerin auf G7-Gipfeln wolkige Erklärungen verlauten lässt, um dann im konkreten Handeln zu versagen. Trotzdem hat Gabriel gezeigt, dass er durchsetzungsfähig sein kann, wenn er will: Etwa, wie er die Vorratsdatenspeicherung gegen alle Widerstände in seiner Partei durchdrückt. So durchsetzungskräftig hätte ich ihn mir lieber beim Klimaschutz und der Kohleabgabe erhofft.
Bürgerinitiativen gelten eigentlich als natürliches Reservoir der Grünen. In Bayern stemmen sich dagegen Bürgerinitiativen gegen die Südlinktrasse, im Norden gegen Windkraftanlagen. Wie konnte St. Florian die Vision von der Energiewende verdrängen?
Kellner: Bürgerinitiativen vertreten nicht per se klassisch grüne Themen. Bürgerliches Engagement kann auch in eine Richtung Kraft entfalten, die unseren grünen Vorstellungen entgegenläuft. Trotzdem wertschätze ich grundsätzlich Engagement, egal, ob ich die jeweilige Position teile oder nicht. Aber selbstverständlich haben wir Grüne eine besondere Verantwortung - besonders da, wo wir Regierungsverantwortung tragen -, für unsere Position zu werben und die Bürger einzubinden. Natürlich muss der Windstrom vom Norden in den Süden transportiert werden. Das geht nur durch neue Leitungen. Unsere Minister in Schleswig-Holstein, Niedersachsen oder Hessen zeigen da eine klare Haltung. Diese Konflikte müssen wir aushalten und lösen.
Die AfD macht gerade denselben Häutungsprozess durch wie die Pegida - Moderate und Hardliner trennen sich. Anders als bei den meisten Nachbarn konnte sich in Deutschland bisher keine nationalkonservative Partei rechts von der Union halten. Müssen wir nun einen deutschen Front national erwarten?
Kellner: In der Tat erleben wir gerade wie die Biedermeier-Anti-Euro-Professoren-Riege von Frau Petry abgefackelt und vertrieben wird. Der Partei wird ein scharfer Rechtsruck verpasst. Wir zeigen gegen diese Populisten eine klare Kante. Ich bin nach wie vor optimistisch, dass auch dieses Rechtsaußen-Projekt nicht auf Dauer Fuß fassen wird. Zum Glück war die politische Kultur Deutschlands bisher aufgrund unserer verhängnisvollen Geschichte gegenüber derartigen Rattenfängern von einer besonderen Immunität.
Erwarten Sie ein bundespolitisches Comeback der FDP? Ergeben sich neue Koalitionsoptionen?
Kellner: Noch ist ungewiss, wie es mit der FDP weitergeht. 2016 stehen wichtige Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz an, 2017 folgt Nordrhein-Westfalen. Die werden die Richtung vorgeben. Ich brauche die FDP nicht zurück im Bundestag. Wir selbst fahren einen Kurs der Eigenständigkeit. Deshalb freue ich mich über Schwarz-Grün in Hessen ebenso wie über Rot-Rot-Grün in Thüringen. Die größte gemeinsame Schnittmenge haben wir immer noch mit der SPD. Aber es hat bei den letzten drei Bundestagswahlen nicht für eine rot-grüne Mehrheit gereicht. Stand heute sehe ich das auch für 2017 nicht. Vor allem nicht mit einer SPD, die unter Sigmar Gabriel wie eine "CDU light" anmutet.
Die Zukunftskommissionen der CDU haben ein Papier vorgelegt, das in manchen Teilen wie ein rot-grünes Koalitionspapier klang. In Hessen gibt es die Variante bereits, wann steigt Schwarz-Grün auch im Bund?
Kellner: Die CDU absolviert zwar in Teilen eine nachholende Modernisierung. Es gibt aber nach wie vor riesige Unterschiede bei Themen wie der Ehe für alle oder dem Klimaschutz. Und im Bund haben sie, anders als in Hessen, einen weiteren schwerwiegenden Störfaktor dabei - die CSU, die sich mal wieder in einem unerträglichen Populismus versucht. Im Bundestag haben wir die größten Differenzen mit der CSU.
Die Grünen treten seit jeher für mehr plebiszitäre Elemente in der Verfassung ein. Schreckt Sie das Referendum in Griechenland nicht von einer derartigen Vorstellung ab?
Kellner: Auch Wahlen können schiefgehen. Deshalb würde ich ja nicht sagen, ich bin gegen Wahlen. Als zusätzliches Element sind Referenden durchaus geeignet Politik lebendig und lebensnah zu halten.
Lebendig und lebensnah ist es derzeit in Griechenland. Aber nährte das Referendum bei den Bürgern nicht die Illusion, sie alleine könnten die Leitlinien für das Krisenmanagement vorgeben, so als ob die anderen 18 Euro-Länder nicht ebenfalls demokratisch legitimierte Regierungen besäßen?
Kellner: Dieses Referendum war in seiner Fragestellung völlig unklar. Selbst die meisten derer, die mit Nein gestimmt haben, wollten dies nicht als Votum gegen Europa verstanden wissen. Die Frustration der Griechen ist hoch angesichts mangelnder Erfolge einer sechs Jahre währenden Sparpolitik und einem jahrzehntelangen Reformversagen. Diese Frustration hat sich im Volksentscheid verdichtet, was die Situation nicht einfacher gemacht hat.
Wie verteilt sich die Schuld zwischen den Austeritäts-Ideologen in der Troika und den Links-Ideologen in der Syriza?
Kellner: Ich bin Politischer Geschäftsführer der Grünen, kein Schiedsrichter. Aber deutlich erkennbar ist ein Politikversagen. Da helfen weder der Halbstarken-Populismus der aktuellen griechischen Regierung, noch die fatale Politik Europas und der Bundesregierung, die die verheerende Stimmung in Griechenland gegenüber Europa erst geschaffen hat. Mir macht das ebenso Sorgen wie der erstarkende Nationalismus in vielen anderen EU-Ländern.
Aus der derzeitigen Sackgasse werden die Unterhändler nicht herauskommen, ohne dass einer seinen Prinzipien untreu wird - oder sehen Sie eine Kompromisslösung?
Kellner: Ein fairer Kompromiss wären Reformen gegen eine Umstrukturierung der Schulden. Der Grexit wäre für beide Seiten die schlechteste Variante, weil er einen kompletten Zahlungsausfall für die Gläubiger und eine Verelendung in Griechenland bedeuten würde. Und das Bild Europas nach außen wäre verheerend. Es wäre ungefähr so, als würde Deutschland aufgrund der Verschuldung Bremens auseinanderbrechen.
Aber wie kann es sein, dass Tsipras nach seiner Rede vor dem Europäischen Parlament eine ESM-Kreditanfrage bestehend aus nur einem Blatt Papier abgibt? Hat er noch nicht gemerkt, dass die Zeit abläuft?
Kellner: Mir hatte vor den vergangenen Wochen ebenfalls die Fantasie gefehlt, mir vorzustellen, dass es bei zwischenstaatlichen Verhandlungen auf der Spitzenebene so unprofessionell ablaufen könnte, wie wir es derzeit erleben. Hier paart sich schlechte Zockerei auf griechischer Seite mit mangelndem Verständnis auf Geldgeber-Seite für die soziale Lage in Griechenland.
Ein eigentlich überschaubares wirtschaftliches Problem wurde durch jahrelanges Missmanagement zu einem geopolitischen, weil EU und mittelbar auch NATO nun um ihre südöstliche Flanke bangen. Was muss die EU ändern, um Wiederholungen auszuschließen?
Kellner: Die Schaffung eines Europäischen Währungsfonds wäre ein wichtiger Schritt. Dazu die europaweite Absicherung der Banken. Letzlich kommen wir in Europa nicht umhin, Investitionen in einen "Green New Deal" zu leisten, um die Krise hinter uns zu lassen. Zudem dürfen die Parlamente nicht so lange außen vor bleiben beim Krisenmanagement.
Das Interview führte Joachim Zießler
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