Landeszeitung Lüneburg: "Der Glaube ist Teil des Problems" Interview mit dem Islam-Experten Professor Ferhad Ibrahim Seyder
Lüneburg (ots)
In der Silvesternacht verübten Hunderte arabische Männer sexuelle Gewalt gegen Frauen. Köln und Hamburg beendeten die Illusion, die massenhafte Zuwanderung gerade auch junger Männer könnte problemlos verlaufen. Für den in Syrien geborenen, in Erfurt lehrenden kurdischen Politikwissenschaftler Prof. Ferhad Ibrahim Seyder war diese Annahme ohnehin "naiv". Sexuelle Gewalt gegen Frauen "ist in Ägypten und Algerien alltäglich. Auch, weil der Koran ein Frauenbild legitimiert, nach dem die Frau minderwertig sei."
Übergriffe wie die vom Kölner Bahnhofsvorplatz waren bisher vor allem vom Tahrir-Platz in Kairo bekannt. Speist sich die sexuelle Gewalt in Köln aus denselben Wurzeln?
Prof. Dr. Ferhad Ibrahim Seyder: Als ich die Bilder aus Köln sah, musste ich sofort an den Tahrir-Platz denken, in dessen vielen Nebenstraßen Frauen belästigt und auch vergewaltigt wurden. Eine volle Übereinstimmung der Strukturen und Hintergründe dieser Übergriffe kann es auf den beiden Schauplätzen nicht geben, aber zumindest eine im Kern. In Ägypten kommt es seit Mitte der 80er-Jahre zu massiven Übergriffen auf Frauen - in Verkehrsmitteln, auf Plätzen, im gesamten öffentlichen Leben. Eine Übereinstimmung ist in zwei Punkten erkennbar: 1. Das Frauenbild. Zwar dürften die Täter von Köln tatsächlich vorwiegend aus Nordafrika stammen, doch wird deren Frauenbild, nach dem die Frauen minderwertige Objekte ihrer Lust seien, auch von anderen Migranten mit islamischem Hintergrund geteilt. Der Islam ist dabei ein Instrument zur Rechtfertigung, aber ein leicht zu missbrauchendes, gilt doch die Frau im Koran als minderwertig. Nicht zufällig ist die Aussicht, als Märtyrer im Jenseits mit 72 Jungfrauen belohnt zu werden, ein Hauptmotiv für viele sexuell frustrierte Selbstmordattentäter. 2. Werteverlust. Die jungen Männer leben hier nicht mehr eingebunden in familiäre Strukturen. Es fehlt an sozialer Kontrolle. In Kairo war es das Gefühl der Chancenlosigkeit auf dem Arbeitsmarkt, der sozialen Marginalisierung. Und nur, wer einen Job hat, kann sich eine Wohnung leisten und heiraten.
Wie entscheidend ist für nicht integrierte Migranten das Momentum, individuelle Ohnmacht in kollektive Allmacht zu verwandeln?
Prof. Seyder: Das ist das auslösende Moment. In der Masse agieren sie, als ob sie die Macht hätten. In Nordrhein-Westfalen lassen sich viele Zuwanderer aus Nordafrika nieder. Sie schätzen die Nähe zu den Niederlanden und dessen Drogenmarkt sowie die im Bundesland geübte Toleranz gegenüber Migranten. Marokkaner, Tunesier und Algerier flüchten nicht vor politischer Unterdrückung. Sie träumen vom schnellen Geld - wobei sich hier der Drogenhandel anbietet - und von der Befriedigung ihrer unterdrückten Sexualität. Emanzipierte westliche Frauen, die sich im öffentlichen Raum ohne männlichen Aufpasser bewegen, werden betrachtet wie Freiwild, das mit jedem Mann ins Bett gehen will.
Kairo galt noch in den 50er- und 60er-Jahren als das Paris Arabiens mit einem libertinären Lebensstil. Haben die aus Saudi-Arabien zurückkehrenden Gastarbeiter den wahhabitischen Islamismus mit zurückgebracht?
Prof. Seyder: Also die Einstufung als "Paris" ebenbürtige Stadt war immer übertrieben. Damit fiel man auf das Bild herein, das in Filmen gezeichnet worden war. Aber tatsächlich war Kairo mondän mit Theatern, Kinos, Verlagen, Cafés. Der Niedergang begann mit dem Putsch Nassers 1952. Die Landflucht verstärkte sich unter Sadat und Mubarak. Als ich 1996 an der Uni von Kairo lehrte, stammten von 20 Millionen Einwohnern 17 Millionen vom Land. Die Stadt - obwohl ein Moloch - bekam den Charakter eines großen Dorfes. Sicherlich brachten die ägyptischen Rückkehrer aus Saudi-Arabien andere Normen mit. Sowohl was ihren Konsum anging, aber auch ihr Weltbild. Die Gesellschaften der Golf-Staaten unterscheiden sich schon sehr von denen Nordafrikas. Aber man darf nicht übersehen, dass der weitaus größte Teil der extremistischen Auslegungen des Koran in ägyptischen Moscheen und Universitäten formuliert worden ist. Geschätzt kommen rund 80 Prozent der fundamentalistischen Ideologen aus Ägypten. Die Wurzeln des Extremismus stecken in ägyptischem Boden. Die erste einflussreiche Fundamentalistengruppe waren die Muslimbrüder. Die Rechtfertigung des Extremismus, den die Wahhabiten in der Welt verbreiten, kam aus Ägypten.
In Norwegen und Dänemark gibt es für Einwanderer aus arabischen Ländern Kurse zum Umgang mit westlichen Frauen. Wäre das auch in Deutschland nachahmenswert?
Prof. Seyder: Normen und Werte werden in sehr langsamen sozialen Prozessen aufgenommen. Das aber auch nur, wenn die Bereitschaft dafür vorhanden ist. Ich glaube nicht, dass ein frommer Muslim, der das Leben Mohammeds als vorbildlich ansieht, die Frau als vollwertig ansehen kann. Weil sie im Koran nicht als gleichwertig dargestellt wird. Und Mohammed kann mit Vielweiberei und Zwangsehe kein Maßstab für eine moderne Gesellschaft sein. Die Einsicht, dass Menschen gleich welchen Geschlechts gleichberechtigt sind, lässt sich Menschen, die aus Bürgerkriegsregionen voller Fanatismus zu uns kommen, nicht in Schnellkursen vermitteln. Die Vorsätze sind gut. Aber Akzeptanz für die Werte des Grundgesetzes setzt Sozialisation voraus. Das heißt, die zweite und dritte Generation könnte diese Normen annehmen.
Nun steht auch in der Bibel, dass das Weib dem Manne untertan zu sein habe...
Prof. Seyder: ...aber nicht im Neuen Testament. Man kann zur Bewertung des Christentums nicht diese gigantische Persönlichkeit Jesus Christus umgehen. Der Islam blieb alttestamentarisch, weil er mit Jesu Friedenslehre nichts anfangen konnte. Auch das Konzept der Brüderlichkeit und Nächstenliebe, mit dem Jesus das Alte Testament überwinden wollte, wurde von Mohammed nicht verstanden.
Fehlt dem Islam eine Erneuerung, gar eine Reformation, die Trennung von Kirche und Staat?
Prof. Seyder: Der Staat ist die Kirche des Islam. Erst wenn es zur Trennung kommt, wird der Islam zivilisiert, wird die Religion auf eine moralische Größe reduziert. Der Islam ist zwar kompatibel zur kapitalistischen Wirtschaftsordnung, aber nicht zu modernen Gesellschaften, weil er sich in persönlichste Lebensbereiche einmischt, wie etwa Eherecht und Erbrecht. Der Islam besteht aus Glaubens-, Verhaltensfragen und Riten. Sofern je ein Reformator vom historischen Formats Luther auftritt, bliebe immer noch das Problem, was mit der islamischen Rechtslehre in einem säkularisierten Staat geschehen soll. Derzeit stehen die Zeichen aber nicht auf Reform, sondern auf Radikalisierung, auf die angestrebte Rückkehr zu den 23 Jahren, in denen der Prophet seine Religion gründete. Wenn man wie Christian Wulff oder Angela Merkel sagt, der Islam gehöre zu Deutschland, meint das den archaischen Islam, denn einen reformierten gibt es nicht. Ein liberalerer europäischer Islam ist nur eine Legende. Der Islam beansprucht für sich, Din und Dawla zu sein - Religion und Staat. Letztlich ist der Islam dazu gezwungen, weil es keine Kirche gibt.
Die Gewerkschaft der Polizei ist skeptisch, dass es nach Köln zu Verurteilungen kommt. Teilen Sie diesen Pessimismus?
Prof. Seyder: Diesen Pessimismus teile ich vollständig. Schon jetzt streitet die Politik, welche Bestrafung denn für eine Abschiebung reichen soll - ein Jahr oder eineinhalb. Meine Befürchtung ist, diese Debatte kommt aus dem Politbereich nie heraus. Nötig wäre aber ein Signal, dass der deutsche Staat konsequent gegen das Überschreiten seiner Regeln vorgeht. Sinnvoll wäre, es Marokko und Tunesien zu sicheren Herkunftländern zu erklären, damit den Zuwanderern aus diesen Ländern zumindest das Asylverfahren versperrt bleibt. Vielleicht scheut der Westen ein konsequentes Einschreiten, weil er sich irgendwie mitverantwortlich für die Wut und Gewaltbereitschaft vieler junger Männer fühlt, die zuwandern. So wurzelt die Gewaltbereitschaft in Algerien sicher auch in der brutalen Kolonialherrschaft der Franzosen. Ein Teil der Wut der jungen Männer ist auch die Wut der islamischen Welt auf den Westen. Der britische Orientalist Bernard Lewis nimmt an, dass die Diskrepanz zwischen dem Anspruch, auserwähltes Volk zu sein, und die Realität der Zweitrangigkeit ihrer Kultur in der arabischen Welt die Wut forciert.
Führt Köln dazu, dass ehrlicher darüber gesprochen wird, dass ein Teil der Einwanderer problematische Weltanschauungen mitbringt?
Prof. Seyder: Ich fürchte nicht. Schon heute hat der Anschlag von Istanbul die Kölner Schreckensnacht aus den Zeitungen verdrängt. In zwei Wochen ist Köln vergessen. Ich glaube nicht, dass die Politik die Lehre zieht, dass sie der Destabilisierung der Verhältnisse in den vergangenen Monaten entgegentreten muss.
Das Interview führte
Joachim Zießler
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