Landeszeitung Lüneburg: Xi und Putin haben es in der Hand - Terrorismus-Experte Dr. Guido Steinberg betont: Ohne mehr Druck aus Moskau und Peking sind in die Konflikte in Syrien und Nordkorea kaum zu lösen
Lüneburg (ots)
Der Historiker Michael Wolffsohn hatte nach dem US-Angriff auf die syrische Luftwaffenbasis von einer "Haudrauf-Aktion mit politischem Zweck" gesprochen. Stimmen Sie ihm zu?
Dr. Guido Steinberg: Ich halte diesen Luftangriff für folgerichtig und bin damit einverstanden, weil dem syrischen Regime gezeigt wurde, dass ein so gravierender Verstoß gegen die Chemiewaffen-Konvention, der Syrien 2013 beigetreten ist, nicht gänzlich ohne Folgen bleibt. Es sieht aber nicht so aus, als ob die USA eine darüber hinausgehende Strategie für den Syrien-Konflikt insgesamt hätten. Deshalb sollte man keine übertriebenen Hoffnungen hegen, dass wir einer Lösung des Konfliktes näher kommen.
Sigmar Gabriel hat betont, die USA wollten den Syrien-Konflikt nicht militärisch entscheiden. Lässt sich der Konflikt ohnehin nicht militärisch entscheiden?
Nein, grundsätzlich lassen sich Kriege militärisch entscheiden. Die Aussage des Außenministers wird in der deutschen Politik geradezu zur Plattitüde, die verdeckt, dass die Deutschen nicht bereit sind, militärisch einzugreifen, selbst wenn es richtig und notwendig ist. Wir sehen im Moment, dass das syrische Regime gemeinsam mit den Russen, den Iranern und schiitischen Milizen die Oberhand hat, weil es militärische Erfolge erzielt hat. Deshalb wird das Regime wahrscheinlich auch noch einige Jahre bestehen bleiben. Trotzdem ist es instabil, weil es ihm an Soldaten fehlt. Ob der Krieg militärisch entschieden werden kann, hängt vor allem davon ab, wie lange die Verbündeten Syriens Bashar al-Assad wie effektiv unterstützen.
Gehen Sie davon aus, dass Russland sein militärisches Engagement im Syrien-Krieg zurückschrauben wird, weil es schlicht zu teuer wird für das wirtschaftlich angeschlagene Putin-Reich?
Die Russen haben in den vergangenen sechs Jahren sehr deutlich gezeigt, dass sie bereit sind, sehr weit zu gehen - und zwar finanziell, militärisch und politisch, um dem Assad-Regime zu helfen, an der Macht zu bleiben. Ich sehe keine Anzeichen, dass sich daran etwas ändert. Es ist möglich, dass die Russen bei einer weiteren Beruhigung der Lage Teilabzüge verkünden. Ich gehe aber davon aus, dass sie weiter an der Seite von Assad stehen. Und das bedeutet, dass Assad nicht stürzt.
US-Außenminister Rex Tillerson hat Russland aufgefordert, sich auf die Seite der USA und ihrer Verbündeten zu stellen. Glauben sie, dass sich Moskau davon beeindrucken lässt?
Nein. Die einzige Möglichkeit die Russen zu beeindrucken, ist, militärisch zu intervenieren, zum Beispiel durch eine direkte Unterstützung der Aufständischen. Dazu sind die USA - wie ich finde zu Recht - nicht bereit. Deshalb können sie auch nicht erwarten, dass Russland einlenkt. Die Russen bleiben an der Seite Syriens und des Irans und werden eine Lösung nach amerikanischen oder europäischen Wünschen verhindern.
Die Reaktion Russlands auf den US-Militärschlag war letztlich eher gelassen. Haben Sie damit gerechnet?
Ich glaube nicht, dass die Russen wirklich gelassen sind. Ich glaube auch nicht, dass sie mit einem solchen Militärschlag gerechnet haben. Die Amerikaner haben mit dieser eher symbolischen Aktion klar gemacht, dass sie militärische Optionen haben, weil sie nun einmal eine Supermacht sind. Die Russen und die Syrer werden sich überlegen, welche anderen Ziele die Amerikaner gegebenenfalls angreifen könnten, wenn sich der Konflikt verschärft. Ich glaube nicht, dass die russische Führung intern entspannt reagiert hat - dazu war der US-Militärschlag zu nahe an russischen Zielen.
Welche Rolle sollte oder kann denn die NATO spielen?
Die wichtigen NATO-Staaten haben sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, wie man im Syrien-Konflikt vorgehen soll. Letztlich wird es so sein wie meist in der NATO: Es hängt davon ab, welche Entscheidung die Amerikaner fällen. Und diese Entscheidung ist noch nicht klar. Versuchen sie wirklich, einen Regime-Wechsel in Syrien zu betreiben? Dann müssten sie aktiver werden. Oder entscheiden sie sich für die Politik, die die Obama-Administration seit spätestens 2014 betrieb und zu der sich die Trump-Administration noch vor zehn Tagen bekannt hatte - nämlich sich auf den Kampf gegen die Terrormiliz IS zu konzentrieren? Ich gehe davon aus, dass die US-Regierung trotz aller Rhetorik und trotz des Militärschlags zur zweiten Option neigt.
Die andere "Front", die Trump gerade eröffnet hat, ist Nordkorea. Trump hat mit dem Militärschlag in Syrien bewiesen, dass er nicht nur verhandelt, sondern auch handelt. Glauben Sie, dass es bei der Verlegung des Flugzeugträgers bleibt?
Das kann ich noch nicht beurteilen, weil die Trump-Administration widersprüchliche Signale sendet. Mich hat schon der Angriff in Syrien überrascht. Es gibt im Moment drei große außenpolitische Themen für die US-Regierung: Syrien, Iran und Nordkorea. Das weltpolitisch Bedeutsamste ist ganz sicher das nordkoreanische Atom- und Raketenprogramm. Ich glaube, dass wir in den nächsten vier Jahren unter Trump in die Situation kommen könnten, dass die Amerikaner auch militärisch intervenieren. Derzeit versuchen sie aber, vor allem China zu einer Änderung seiner Politik zu bewegen. Das ist der richtige Weg. Aber ich glaube, dass man militärische Aktionen nicht ausschließen sollte und auch nicht ausschließen kann. Denn Pjöngjang darf keine Atomraketen entwickeln, mit denen Japan und irgendwann auch die USA und Europa angegriffen werden können.
China trägt schon Sanktionen gegen Pjöngjang mit, um das Regime vom Atomkurs abzubringen. Kann Peking noch mehr Druck aufbauen, um Kim Jong Uns atomare Ambitionen zu dämpfen?
Es liegt letztlich in der Hand der Chinesen. Sie sind der einzige nennenswerte Partner, den Nordkorea hat. Wenn China die Grenzen tatsächlich schließt, bricht Nordkorea schnell zusammen. Meine Befürchtung ist aber, dass die Chinesen die Aufrüstung des Nachbarn akzeptieren könnten und nicht bereit sind, ihre Sanktionen so weit zu verschärfen, dass Pjöngjang einlenken muss.
Befürchtet China auch Flüchtlingsströme aus Nordkorea für den Fall eines Zusammensturzes der Regimes?
Das ist für die Chinesen sicherlich nicht das schlimmste Szenario. China hat eine große Armee und ist bereit, sie einzusetzen. Sie können und werden - im Gegensatz zu Europa - die Grenze einfach abriegeln, wenn zu viele Flüchtlinge ins Land kommen. Insgesamt halte ich die chinesische Politik für kurzsichtig. Es muss eigentlich auch im chinesischen Interesse liegen, dass Nordkorea nicht in die Lage versetzt wird, Atomsprengköpfe über weitere Entfernungen zu transportieren. Ich muss gestehen, dass ich die chinesische Politik in diesem Punkt nicht verstehe.
Wird die Lage dadurch erschwert, dass Nordkorea auch eine große Artillerie hat, die aufgrund der geringen Entfernung zur südkoreanischen Hauptstadt Seoul in Schutt und Asche legen könnte?
Jede militärische Option in Nordkorea ist sehr gefährlich. Die Politik der nächsten Monate ist eigentlich ganz klar: Die USA versuchen, gemeinsam mit China eine Lösung zu finden - und zwar so intensiv wie möglich. Doch der Faktor Zeit spielt eine große Rolle. Denn es geht bald nicht mehr nur um Südkorea, sondern auch um Japan. Angesichts der drohenden Bewaffnung Nordkoreas mit Raketen größerer Reichweite und den entsprechenden Atomsprengköpfen müssen die Japaner irgendwann reagieren. Dann stellt sich die Frage nach einem Militärschlag.
Das Interview führte
Werner Kolbe
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