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Landeszeitung Lüneburg: Das Comeback des Atomkoffers Dr. Peter Rudolf, Sicherheitsexperte von der Denkfabrik SWP: Die US-Politik, Frieden durch Stärke zu erzwingen, kann Konflikte mit Russland und China verschärfen

Lüneburg (ots)

Von Joachim Zießler

Lüneburg. Was unter der Regierung von Barack Obama auf den Fluren des Pentagon nur geflüstert werden durfte, hat unter Donald Trump Eingang in die Nationale Sicherheitsstrategie gefunden: In der Weltpolitik hat eine neue Ära begonnen, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die USA von Russland und China im Ringen um Einfluss herausgefordert werden. Die USA wollen diese Herausforderer in die Schranken weisen. Das "ist gefährlich - für die internationale Ordnung wie für die weltweite Sicherheit", schreibt Dr. Peter Rudolf in einer neuen Studie für die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die die Bundesregierung berät. Im Interview der Woche führt Dr. Rudolf aus, dass sich in einer Welt der Großmachtrivalitäten der Stellenwert der nuklearen Abschreckung ändere. Von einem Hintergrundfaktor wie nach dem Kalten Krieg zu einem dominanten. Längst haben die USA Mini-Atombomben im Arsenal, die aus der Sicht des Weißen Hauses bei regionalen Konflikten leichter einsetzbar scheinen, sei es mit Russland im Osten Europas oder mit China im Pazifik. Die Fähigkeit zu einem begrenzten Nuklearkrieg solle die Glaubwürdigkeit der Abschreckung erhöhen. Doch der Sicherheitsexperte warnt: "Wenn die USA weiter eine geopolitische Verständigung verweigern bei gleichzeitiger Bewahrung der militärischen Überlegenheit, ist mit einer Verschärfung von Großmachtkonflikten" zu rechnen. Dann müsste Berlin sich entscheiden, wie weit die Unterstützung der USA gehen solle.

Ist militärische Überlegenheit das richtige Mittel, um den relativen Abstieg der USA aufzuhalten? Dr. Peter Rudolf: Unabhängig davon, ob richtig oder falsch, ist der Gedanke im amerikanischen Militär und Sicherheitsestablishment verwurzelt, dass die USA ihre militärische Überlegenheit wahren müssen. Die USA verstehen sich nach wie vor als Führungsmacht in allen strategisch wichtigen Regionen, also vor allem Ostasien und dem Persischen Golf. Hier soll Überlegenheit gewahrt werden, um in Krisen die Oberhand gewinnen zu können. Ein Gedanke, den US-Präsident Donald Trump teilt.

Beschleunigt Trump den Machtzuwachs Chinas, indem er den Westen und multinationale Systeme schwächt? Rudolf: Das zeichnet sich ab, nimmt man etwa die aktuelle Diskussion in Australien als Beispiel: Dort wird erörtert, welche Optionen Australien hat, wenn die USA als Schutzmacht ausfallen oder was es heißt, wenn China wirtschaftlich weiter erstarkt und die USA ihre globale Rolle nicht mehr ausfüllen. Aber nicht nur in Canberra hat Trump ein Umdenken ausgelöst, sondern auch in Seoul und Berlin.

Ist die US-Atomstrategie, die den Einsatz von Atombomben mit relativ geringer Sprengkraft ermöglicht, die richtige Antwort auf eine Welt hybrider Kriege oder ein Schritt in Richtung Apokalypse, weil Atomkrieg führbar erscheint? Rudolf: Das ist schwer zu beantworten, weil atomare Abschreckung per definitionem ein Konstrukt ist, das auf die Wirkung in den Köpfen der Gegner angelegt ist. Im Konfliktfall wird aber immer noch für sinnvoll erachtet, die Eskalationsdominanz innezuhaben, also die Fähigkeit, auf die nächsthöhere Stufe der Gewalt eskalieren zu können. Das sind uralte atomstrategische Überlegungen, die jetzt eine Renaissance erfahren, weil man vermutet - ob zu Recht oder Unrecht -, dass Russland versucht sein könnte, einen Krieg etwa in den baltischen Staaten mit einer begrenzten nuklearen Eskalation zu beenden, also dem Einsatz einer Atomwaffe mit relativ geringer Sprengkraft, bevor die USA überlegene konventionelle Kräfte einsetzen könnten.

Wie glaubwürdig ist eine abgestufte atomare Abschreckung gerade gegenüber Russland, wenn diese noch nicht einmal die Eroberung der Krim verhindern konnte? Rudolf: Glaubwürdigkeit ist das Grundproblem jeder atomaren Abschreckung, gerade auch in ihrer erweiterten Variante. Die USA nehmen ihre Verbündeten unter den Atomschirm. Im Kalten Krieg lautete die Frage: Sind die USA bereit, New York für Berlin zu opfern? Heute stellt sich die Frage in Bezug zum Beispiel auf Tallin. Trumps Zweifel an der Gültigkeit der Sicherheitsgarantien für die NATO-Verbündeten haben selbstverständlich Zweifel an der amerikanischen Entschlossenheit gesät, für Partner in die Bresche zu springen.

Unter Xi Jinping errichtet China Mauern zur See, betrachtet Asien klar als den eigenen Hinterhof. Löst der Pazifik den Atlantik als Kampfzone der Rivalen ab? Rudolf: Der Atlantik ist relativ beruhigt, während in Asien ein Hegemonialkonflikt im Gange ist. China will die führende Macht werden, beansprucht deshalb die Oberhoheit über das südchinesische Meer. Das hat auch etwas mit Nuklearstrategie zu tun, weil das südchinesische Meer zur sicheren Bastion für Pekings mit Atomraketen bestückte U-Boote ausgebaut werden soll. Dies soll die Verwundbarkeit des chinesischen Arsenals gegenüber amerikanischen Präventivschlägen verringern.

Taugt das außenpolitische Konzept der Republikaner - "Frieden durch Stärke" - vor dem Hintergrund der Entwicklung im Iran und Nordkorea als Leitschnur gegenüber ambitionierten Mittelmächten? Rudolf: Das Konzept geht auf Ronald Reagan zurück. Die historische Erinnerung daran, dass dessen Aufrüstungsdirektive in den achtziger Jahren die Sowjetunion in die Knie gezwungen habe, ist in der republikanischen Partei eine Erzählung mit Legendencharakter. Dass der Zusammenbruch der UdSSR tatsächlich ein sehr viel komplexeres Geschehen war und dass Stärke ohne gleichzeitige Entspannung und Sicherheitszusagen wie in den Fällen Iran und Nordkorea konfliktverschärfend sein kann, wird dabei übersehen. Zwischenzeitlich waren die USA erfolgreich mit dem diplomatischen Versuch, den Iran zu einer Aufgabe der Urananreicherung zu bewegen. Jetzt hat die Trump-Administration diesen Weg beendet, ohne aber über eine Alternative zu verfügen.

War es nicht konsequent von den Mullahs und Kim angesichts der Schicksale von Gaddafi und Saddam Hussein, nach der Atombombe zu streben? Rudolf: Das ist vermutlich die Lehre, die Nordkorea gezogen hat. Der Iran ist ein komplexerer Fall, weil es dort einige miteinander konkurrierende Machtzentren gibt. Wenn Trumps Sicherheitsberater Bolton in Bezug auf Nordkorea von der "libyschen Lösung" spricht, dürften in Pjöngjang die Alarmglocken schrillen, hat Gaddafi doch einst sein Chemiewaffenprogramm aufgegeben, bevor er vom Westen fallen gelassen wurde. Der einzige Staat, der bisher ein laufendes Atomwaffenprogramm aufgegeben hat, ist Südafrika. Der Iran hat sein Programm nun für zumindest zehn Jahre ausgesetzt. Ob er es einfach so reaktivieren könnte, ist offen.

Gibt es in Washington Verständnis für die Einkreisungsängste in Moskau und Peking? Rudolf: Es gibt zwar in Washington viele Stimmen, doch in der Trump-Administration dürfte es zu wenig Einfühlungsvermögen geben, um zu realisieren, dass die eigene Aufrüstung und die eigene Rhetorik von der anderen Seite als bedrohlich wahrgenommen wird. Zudem ist die Einstellung verbreitet, dass die USA als friedliebende Demokratie an sich für andere Staaten keine Bedrohung darstellen kann.

Wie groß ist die Gefahr, dass das südchinesische und das ostchinesische Meer wie die Nordsee des 20. Jahrhunderts zur Aufmarschzone werden? Rudolf: Das Risiko einer Krise in dieser Region ist gegeben. China verfolgt offensichtlich eine Salamitaktik beim Ausbau seines eigenen Einflusses. Dabei bleibt man beim Ausbau seiner eigenen militärischen Fertigkeiten und dem Stützpunktausbau auf Inseln unterhalb der Schwelle, die in den USA als bedrohlich angesehen werden könnte. Derzeit wird in der US-Regierung darüber debattiert, ob es nicht Zeit wäre, darauf bestimmter zu reagieren als bisher. Es ist erheblicher Zündstoff angehäuft, denkt man etwa daran, was passieren könnte, wenn sich Taiwan unabhängig erklärt.

Wäre ein Schwenk zu mehr geopolitischer Verständigung unter einem demokratischen Präsidenten denkbar oder ist das Vormachtsdenken tief in der DNA der USA verankert? Rudolf: Schwer zu sagen, wann es wieder einen demokratischen US-Präsidenten geben könnte. Unter Obama war die US-Politik gegenüber Russland zurückhaltender. Zwar wurden Sanktionen nach der Eroberung der Krim verhängt, doch es wurden keine Waffen an die Ukraine geliefert, die das Kräfteverhältnis hätten ändern können und zudem wurde der Beitritt Kiews auf Eis gelegt. Aber ich kann mir keine US-Administration vorstellen, die Russland oder China bereitwillig Einflusszonen zuspricht.

China ist Deutschlands wichtigster Handelspartner, Russland die geografisch nächste Großmacht. Wie kann sich Deutschland positionieren, sollte die westliche Vormacht Konflikte schüren? Rudolf: Wenn es zu einem stärkeren Konflikt mit China kommt, dürften die USA Solidarität einfordern - etwa, indem sie Druck auf deutsche Unternehmen ausüben, die Zusammenarbeit mit China einzustellen. Auch bei den Russland-Sanktionen trägt die deutsche Wirtschaft den Löwenanteil der wirtschaftlichen Last.

Hat der kleine westliche Zipfel am eurasischen Kontinent, den wir Europa nennen, Glück, dass die neuen Großmachtrivalitäten weit weg im pazifischen Raum spielen werden? Rudolf: Glück vielleicht nur insofern, als Europa im Pazifik keine militärische Rolle spielen wird. Die wirtschaftlichen Folgen wären allerdings sehr schmerzhaft, wenn die Globalisierung zurückgedreht wird, weil sich Produktionsketten auflösen. Gerät der US-Handel mit China unter den Sicherheitsvorbehalt, wird das auch Europa treffen.

Unter Trump ist sogar der deutsche Export ein nationales Sicherheitsrisiko für die USA. Gibt es eine rote Linie, bei deren Überschreiten die deutsche Politik härter zurückschlagen sollte? Rudolf: Bei Stahl wäre mit einiger Phantasie die US-Argumentation noch nachvollziehbar, bei Autos ist sie nur der bizzare Versuch, den Druck zu erhöhen. Jetzt steht Europa vor der Frage, ob es um Ausnahmegenehmigungen bittet oder mit anderen Staaten in der Welthandelsorganisationen eine Front bildet. Die Erkenntnis wird reifen, dass man auch härter kontern könnte - etwa über amerikanische Internetkonzerne, die in Europa Profit machen, aber wenig Steuern zahlen.

Nur ein einiges Europa hätte im Konzert der Großen eine Stimme von Gewicht. Treffen Europa die Zentrifugalkräfte um Großbritannien und jetzt Italien gerade zur falschen Zeit? Rudolf: Sicher wäre ein Europa, das außenpolitisch einig agiert, ein gewichtiger Akteur. Bräche nun auch noch Italien weg, wäre Europa erheblich geschwächt.

Pressekontakt:

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Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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