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Landeszeitung Lüneburg: "Moralische Arroganz stört sehr" Interview mit Joachim Pfeiffer (CDU) über Rüstungsexporte

Lüneburg (ots)

Noch immer dürfen keine deutschen Waffen nach Saudi-Arabien geliefert werden. In welchem Zusammenhang steht der Mord an dem Journalisten Jamal Kashoggi mit der Zurückhaltung zweier fertiger Patrouillenboot in Wolgast?

Dr. Joachim Pfeiffer: Der einseitige, im nationalen Alleingang verhängte Stopp für Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien war eine Reaktion auf den Mord am saudi-arabischen Journalisten Khashoggi. Hier gilt es allerdings klar zu trennen: Ja, auch ich verurteile den Mord scharf und bin der Meinung, dass nicht einfach zur Tagesordnung übergegangen werden darf. Saudi-Arabien muss klar gemacht werden, dass es Grenzen gibt, die nicht überschritten werden dürfen. Trotzdem halte ich den einseitigen, ohne Abstimmung mit den europäischen und den NATO-Partnern verhängten deutschen Stopp für Rüstungsexporte für falsch und gefährlich. Deutschland ist nicht allein auf der Welt, sondern Teil eines Sicherheitsbündnisses, dem wir unser friedliches Zusammenleben in Europa seit über sieben Jahrzehnten verdanken. So etwas darf nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Daher müssen Entscheidungen über Sicherheits- und Rüstungsfragen, die auch unsere europäischen Partner betreffen, zwingend mit diesen abgestimmt werden. Anderenfalls schneidet sich Deutschland ins eigene Fleisch, denn es wird nicht mehr als verlässlicher Partner wahrgenommen. Eine Option für Deutschland und Europa bestünde zum Beispiel darin, die jetzige Situation zu nutzen, um den westlichen Einfluss im Nahen Osten und in Saudi-Arabien auszubauen. Nach wie vor ist Saudi-Arabien ein wichtiger strategischer Pfeiler im Nahen Osten. Der Westen muss sehr genau abwägen, ob er bestehende Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Staaten im Nahen Osten leichtfertig aufzugeben bereit ist. Andere Länder, wie Russland, sind sofort bereit, in die Lücke zu stoßen.

Großbritannien und Frankreich nehmen es mit den Exporten nicht so genau. Isoliert sich Berlin in der EU mit einer moralisch begründeten, restriktiven Position zu Rüstungsexporten?

Ich tue mich sehr schwer damit, über die Rüstungsexportpolitik anderer EU-Länder zu urteilen, nach dem Motto: "Die nehmen es nicht so genau". Wir müssen hierzulande sehr aufpassen, dass wir von dem hohen moralischen Ross, auf dem wir zu sitzen glauben, nicht plötzlich unsanft herunterfallen. Richtig ist, dass Deutschland die strengsten Regeln für Rüstungsexporte weltweit hat und seit Gründung der Bundesrepublik eine sehr verantwortungsvolle Rüstungsexportpolitik betreibt. Das hat seine historischen Gründe. Richtig ist aber auch, dass Deutschland sich heute mit seiner sehr strikten Exportkontrollpraxis international zunehmend zu isolieren droht. Deutsche Firmen werden seit Jahren aus Rüstungskooperationen der NATO-Staaten schrittweise herausgedrängt, da sie selbst für kleinste Zulieferaufträge, zum Beispiel Schrauben oder Schleifringe, teilweise jahrelang auf eine Exportgenehmigung warten müssen. "German Free" wird neuerdings zu einem Qualitätsmerkmal innerhalb der NATO. Das ist eine gefährliche Entwicklung, die die außenpolitische Handlungsfähigkeit und die Sicherheit unseres Landes gefährdet. Ohne internationale Kooperation kann unsere Verteidigungsindustrie nicht überleben. Deutschland droht seine wehrtechnologischen Fähigkeiten zu verlieren. Damit machen wir uns abhängig von Dritten. Die Frage ist, ob wir das wirklich wollen.

Deutschland hat aus der Geschichte heraus gute Gründe für Zurückhaltung, aber auch gute Gründe für eine europäische Verteidigungsgemeinschaft in einer Welt mit einer unzuverlässigen Vormacht. Müssen die Deutschen ihre Haltung ablegen, dass am moralischen deutschen Wesen die Welt genesen soll?

Wie ich schon sagte, halte ich von dem moralischen Zeigefinger der selbsternannten Weltverbesserer im linken und grünen Lager überhaupt nichts. Verantwortungsvolle Außen- und Sicherheitspolitik hat mit dem Blick auf die Realitäten zu beginnen. Deutschland ist Teil eines Bündnisses, das unser Land und unsere Demokratie seit vielen Jahrzehnten zuverlässig schützt. Ohne dieses Bündnis würden wir als Demokratie in der heutigen Form gar nicht existieren. Und Deutschland hat - schon aufgrund seiner Geschichte - auch überhaupt keinen Anlass, sich moralisch über Länder wie Frankreich und Großbritannien zu erheben. Die moralische Arroganz der Rüstungsexportdebatte hierzulande stört mich schon sehr. Weder nützen wir damit dem Weltfrieden, noch schützen wir damit die Demokratie. Im Gegenteil.

Frankreich und Deutschland haben nun vereinbart, dass sie künftig nur dann Rüstungsexporten widersprechen können, wenn nationale Interessen gefährdet sind. Mit welchem Regierungspartner will die Union dies durchsetzen?

Nach meinem Kenntnisstand laufen zur Ausgestaltung der Verteidigungs- und Rüstungskooperation noch Gespräche der Regierungen. Diese gilt es zunächst einmal abzuwarten.

Scheitert der ehrgeizige Neustart mit Frankreich in Sachen Sicherheitspolitik gleich zu Beginn an der Rüstungsexportfrage?

Nein, das darf auf keinen Fall passieren. Ich baue darauf, dass alle Beteiligten sich bewusst sind, wie viel für die zukünftige außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit Europas auf dem Spiel steht. Eine engere verteidigungspolitische Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland kann ein Nukleus für eine größere europäische Lösung sein. Mit ganzer Kraft wird sich die Union daher dafür einsetzen, dass dies mit Leben gefüllt wird.

Im Kalten Krieg - unter dem Schutzschirm der Amerikaner - hat sich in Deutschland ein Denken etabliert, das Waffen per se verfemt. Muss stärker propagiert werden, dass Waffen auch Frieden sichern oder sogar schaffen - aktuell etwa in Mali?

Ich denke in der Tat, dass wir die Diskussion über Rüstung und Verteidigung in Deutschland offensiver führen müssen. Die Väter des Grundgesetzes haben die Bundesrepublik als wehrhafte Demokratie konzipiert. Wehrhaft bedeutet auch, dass man sich selbst verteidigen können muss. Dazu brauchen wir eine leistungsfähige Verteidigungsindustrie. Konkret zum Thema Rüstungsexporte sprechen zudem oftmals auch moralische Gründe dafür. Niemand - außer vielleicht die radikalen Linken - kann doch zum Beispiel ernsthaft kritisieren, wenn Deutschland Waffen an die kurdischen Peschmerga geliefert und so einen Beitrag geleistet hat, dass viele tausend Jesiden und Jesidinnen vor Versklavung, Vergewaltigung oder Ermordung durch den IS gerettet wurden.

Kann der Slogan "Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" in einer Welt, die außerhalb des Westens massiv aufrüstet, aufgehen?

Die Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend verändert - und zwar zum Negativen. Ob die Krisen und Kriege im Nahen und Mittleren Osten, ein immer aggressiver auftretendes Russland, der internationale Terrorismus oder Cyberwar - Deutschland und Europa müssen sich im Klaren darüber sein, dass wir mehr für unsere Verteidigungsfähigkeit tun müssen, nicht weniger. Dies gilt umso mehr, als offenbar die USA nicht mehr ohne weiteres bereit sind, den Schutz Europas dauerhaft auf ihre Kosten zu übernehmen. Das ist übrigens nicht erst seit Präsident Trump so. Schon die Obama-Administration hat immer wieder angemahnt, dass Deutschland das NATO-Ziel eines Anteils der Verteidigungsausgaben in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreichen muss. Der Ton war unter Obama vielleicht etwas diplomatischer als jetzt bei Trump, in der Sache aber gibt es keinen Unterschied. Und letztendlich haben die Amerikaner auch Recht, wenn sie von Deutschland als dem größten und wirtschaftsstärksten EU-Mitgliedsland einen größeren Beitrag zur Verteidigung des westlichen Bündnisses einfordern.

Rächt sich in dem Streit über Rüstungsexporte, dass die Formulierung und die Debatte über nationale Interessen in Deutschland lange verpönt war?

Zunächst einmal begrüße ich es, dass die Debatte um unsere Sicherheit und Verteidigung auch hierzulande an Fahrt gewinnt. Lange Zeit waren die Themen Verteidigung, Rüstung und insbesondere Rüstungsexporte eine "moralische No-Go-Area". Umso wichtiger ist es, endlich eine sachliche, auf Fakten basierende Diskussion zu führen, die die außen- und sicherheitspolitischen Realitäten in den Blick nimmt. Es gilt, Rüstungsexporte als ein - nicht das einzige - strategisches und legitimes Instrument der Sicherheits- und Außenpolitik zu begreifen. Weiterhin gilt es sicherzustellen, dass Kooperationen innerhalb der EU und der NATO möglich sind. Schließlich ist auch eine europäische Harmonisierung der Exportkontrolle in der EU dringend erforderlich. Diese kann aber nicht ausschließlich zu deutschen Konditionen erfolgen, das ist auch klar. Wenn wir soweit sind in der innerdeutschen Debatte, dann wäre schon viel gewonnen.

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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