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Landeszeitung Lüneburg: Neutralität dürfen wir als Grundhaltung erwarten Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza zu ihrem Plan,religiöse Symbole im Gericht zu verbannen

Lüneburg (ots)

Von Joachim Zießler

Religiöse Symbole sind für niedersächsische Richter und Staatsanwälte nach ihrem Gesetzentwurf künftig tabu. Wieso würde die Rechtsprechung leiden, wenn eine Richterin ein Kreuz oder ein Kopftuch trägt?

Barbara Havliza: Es geht bei diesem Gesetz nicht um die Frage, ob die Rechtsprechung leiden würde. Es geht darum, für Beobachter jeden Anschein zu vermeiden, die Justiz - als dritte, unabhängige Säule unserer Demokratie - sei nicht neutral. Wir leben in einer immer multikulturelleren und multireligiöseren Welt. Wir müssen deshalb dafür sorgen, dass derjenige, der Recht sucht, keinen falschen Eindruck gewinnt. Niemand soll die Befürchtung haben, das Gericht werde nicht unparteiisch entscheiden, sondern Personen mit derselben Religion oder derselben Weltanschauung bevorzugen. Das wäre gefährlich. Ein solcher Eindruck könnte die Akzeptanz von Gerichtsurteilen nachhaltig beschädigen.

Wird das Neutralitätsgebot nicht überzogen, wenn man es auf Äußerlichkeiten anwendet?

Künftig könnte ein Familienrichter dann im Scheidungsverfahren gezwungen sein, seinen Ehering abzulegen. Die Ehe ist weder Weltanschauung noch Religion, sondern aus juristischer Sicht eine Institution, deren rechtliche Rahmenbedingungen im Bürgerlichen Gesetzbuch niedergelegt sind. Das ist der zentrale Unterschied. Auf der anderen Seite sind Konstellationen denkbar - etwa in Strafverfahren -, in dem der Angeklagte und der Richter jeweils Religionen angehören, die Teil des Konfliktes sind. Denken Sie an Strafverfahren mit einem antisemitischen Hintergrund. Oder an Staatsschutz-Verfahren, in denen die vermeintliche Religion regelmäßig Teil der Motivlage ist. Würde der Richter sein Glaubensbekenntnis über Symbole offen zeigen, so läge beim Angeklagten der Gedanke nahe, der Richter sei sein Gegner. Diesem Anschein gilt es entgegenzuwirken. Deswegen sollen religiöse Symbole von Richtern und Staatsanwälten während der Ausübung ihres Amtes nicht mehr getragen werden. Das Vorhaben wird bedauerlicherweise immer als "Kopftuchverbot" bezeichnet. Vermutlich, weil dieser Begriff am plakativsten ist. Aber natürlich dürfte ein Schöffe jüdischen Glaubens in der Verhandlung auch seine Kippa nicht tragen. Oder eine Richterin dürfte sich kein Kreuz um den Hals legen, das offenkundig nicht mehr als Modeschmuck durchgeht. Und dies finde ich unter dem Gesichtspunkt des Neutralitätsgebotes in der Justiz höchst angemessen.

Das Bundesverfassungsgericht hat 2015 Kopftücher bei Lehrerinnen als Ausdruck der Religionsfreiheit zugelassen. Wieso muss die Neutralität in der Justiz rigider durchgesetzt werden?

Erzieherinnen und Erzieher haben einen anderen Auftrag als Richterinnen und Richter. Bei der Erziehung von Kindern in öffentlichen Einrichtungen ist staatliche Neutralität wichtig, keine Frage. Aber sie ist nicht so überragend wichtig wie in einem Gerichtsverfahren. Die Justiz entscheidet über existenzielle Sachverhalte und ist dabei strikt gebunden an Recht und Gesetz - und an nichts anderes. Nirgendwo ist deshalb die Neutralität so wichtig wie in der Justiz. Dabei ist die innere Haltung selbstverständlich das Wichtigste. Aber die innere Haltung ist nicht sichtbar und das soll auch so sein. Deshalb müssen diejenigen, die das Recht sprechen, grundsätzlich bedenken, was sie zum Ausdruck bringen, wenn sie neben der Robe bestimmte Symbole offensiv tragen.

Läuft ein Richter schon Gefahr, als befangen gelten zu können, nur weil er Persönlichkeit hat? Das Verstecken von Symbolen ändert ja nichts an der inneren Haltung.

Keinesfalls. Wir brauchen Richter mit Persönlichkeit! Umgekehrt ist es aber doch vielmehr so, dass wir Neutralität als Grundhaltung von denen erwarten dürfen, die sich für eine Laufbahn in der Justiz entscheiden. Und diejenigen, die dem offensiven Tragen eines religiösen oder weltanschaulichen Symbols letztlich den Vorzug vor dem Eintritt in den Justizdienst geben, die wären in der Justiz nach meiner Auffassung auch nicht gut aufgehoben. Im Übrigen wollen wir ja niemandem verbieten, im Dienst ein Kreuz oder ein Kopftuch zu tragen. Das Verbot soll lediglich gelten bei Verhandlungen oder anderen Amtshandlungen, bei denen Beteiligte des Verfahrens, Zeugen, Sachverständige oder Zuschauer anwesend sind.

Verstößt das Kruzifix in bayerischen Gerichten auch gegen das Neutralitätsgebot?

Das Recht wird immer durch die Menschen gesprochen, nicht durch die Säle. Es ist schon ein Unterschied, ob ein religiöses Symbol an der Wand hängt oder von einem Menschen getragen wird, der einen Fall durchdenkt und entscheidet. In Niedersachsen haben wir im Übrigen nur noch zwei Gerichte, in denen Kreuze hängen...

...Welche?

Das sind die Amtsgerichte in Cloppenburg und Vechta. Darüber hinaus schmückt in Niedersachsen unser Landeswappen die Gerichtssäle. Wenn sich ein Beteiligter in einem Gerichtsverfahren an einem Kreuz in einem dieser beiden Gerichte stört, dann wird es während der Verhandlung abgehängt. So einfach ist das. Darauf hat ein Angeklagter auch einen Anspruch, das hat das Bundesverfassungsgericht schon lange entschieden. Ich habe in meiner Laufbahn als Richterin selbst schon Kreuze abgehängt.

Seit Jahren klagen Straf-, Zivil- und Sozialgerichte über eine anschwellende Klageflut. Müssen die Hürden erhöht werden?

Das Klageaufkommen zeigt schon seit Jahren eine Wellenbewegung. Bei den Sozialgerichten liegt es aktuell an den die Verjährungsfrist unterbrechenden Klagen in sogenannten Krankenhausabrechnungsverfahren. Einige Zivilgerichte sind in den letzten Monaten stark mit sogenannten VW-Verfahren belastet worden. Das sind jedoch temporäre Entwicklungen. Daraus abzuleiten, die Hürden für den Zugang zum Recht müssten erhöht werden, ist meiner Meinung nach gefährlich, denn dies würde Rechte beschneiden. Man könnte etwa bei den Zivilgerichten auf die Idee kommen, dass Kleinbeträge nicht mehr eingeklagt werden können. Aber das ist ein schwieriges Kapitel, denn was für den Gutverdienenden ein Kleinbetrag ist, kann für den Arbeitslosen ein Großteil seines Monatsetats sein. Ich würde mir jedoch wünschen, dass man etwa im Bereich des Nachbarschaftsrechts vieles friedlicher lösen könnte. Aber solange Menschen sich nicht friedlich verständigen können, ist es riskant, einigen zu sagen, ihr Anliegen wäre nicht mehr relevant genug, um vor Gericht ausgefochten zu werden. Ich bin zum Beispiel auch dagegen, Bagatelldelikte - wie etwa Schwarzfahren - künftig straffrei zu stellen. Es wäre eine Bankrotterklärung des Rechtsstaates, Fehlverhalten nur deshalb nicht mehr zu ahnden, weil es uns zu viel Arbeit macht. Das muss der Staat schon noch leisten.

Schon länger wird moniert, dass bei den Strafen für Gewalttaten im Vergleich zu Eigentumsdelikten ein generelles Missverhältnis besteht. Verspielt der Rechtsstaat Vertrauen, wenn die Mindeststrafen bei Gewaltakten gegen den Körper nicht heraufgesetzt werden?

Dieses Thema ist schon an mich herangetragen worden, als ich noch als Richterin tätig war. Bis auf Mord - hier gibt es eine lebenslange Freiheitsstrafe - haben alle Straftatbestände einen Strafrahmen. Innerhalb dieser Strafrahmen haben die Richter einen Spielraum unter Berücksichtigung der besonderen Aspekte des Einzelfalls, zum Beispiel kann die Motivation des Täters bewertet werden. Ich bin der Auffassung, dass Übergriffe gegen die körperliche Unversehrtheit stets angemessen hart geahndet werden sollen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das behauptete Missverhältnis zu angeblich härter bestraften Vermögensdelikten letztlich nur ein gefühltes Missverhältnis ist, weil wir den Schutz von Leib und Leben als am wichtigsten erachten. Aber wenn die Unversehrtheit des Körpers das höhere Rechtsgut ist, wäre es dann nicht sinnvoll, die Untergrenze bei den Strafen für Gewaltakte anzuheben? Bei schweren Körperverletzungen steigt man beim Strafrahmen bereits höher ein. Aber der Strafrahmen muss nach unten die Möglichkeit bieten, auch harmlosere Raufereien angemessen ahnden zu können. Statt reflexhaft schärfere Strafen zu fordern, muss meines Erachtens der Strafrahmen besser ausgeschöpft werden. Und dazu gehört auch das Ausschöpfen "nach oben". So habe ich es als Richterin jedenfalls immer gehalten. Möglicherweise müssen wir uns in der Justiz bei der Außendarstellung von Urteilen aber auch besser erklären. Wir müssen erläutern, welche Besonderheiten des Einzelfalls zu einem Urteil geführt haben, ohne dabei die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten zu verletzen. Hier kann sich die Justiz gewiss noch verbessern. An dieser Stelle ist auch die Presse gefordert. Einerseits mit guter und sachlicher Berichterstattung, die durchaus auch Kritik beinhalten darf. Aber die Presse darf auch gerne die Rückmeldung geben, wenn die Justiz mal nicht verstanden wird, weil sie sich zu sehr in ihrer eigenen Sphäre bewegt.

Da kann ich liefern: Im Strafverfahren bekommt der Zeuge in Justiz-Sprech immer zu hören: "Ich halte Ihnen mal vor...". Gemeint ist die Verlesung einer früheren Aussage, aber...

...man fühlt sich sofort schuldig, ich weiß, was Sie meinen. Ein guter Punkt. Diesen Justiz-Sprech haben wir so verinnerlicht, dass wir nicht mal mehr bemerken, dass sich unser Gegenüber gleich in die Defensive gedrängt sieht.

Was versprechen Sie sich von dem Einsatz der elektronischen Fußfessel?

Bei dem Einsatz der elektronischen Fußfessel haben wir vor allem den Opferschutz im Blick, zum Beispiel die Opfer von häuslicher Gewalt. Niemand soll sich Sorgen machen, wenn ein verurteilter Straftäter tagsüber die Haftanstalt verlässt, etwa um einer Arbeit nachzugehen. Zwar können wir auch jetzt schon im Rahmen von Lockerungsmaßnahmen Vorgaben machen, welche Orte betreten werden dürfen und welche nicht. Bislang war die Kontrolle solcher Vorgaben jedoch nur eingeschränkt möglich. Mit der elektronischen Fußfessel gibt es nun ein wirksames Mittel, die Einhaltung einer solchen Weisung präzise und in Echtzeit zu kontrollieren.

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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