Neue Westfälische: KOMMENTAR Bundespräsidentenwahl Vorteil Köhler ALEXANDRA JACOBSON, BERLIN
Bielefeld (ots)
Ein amtierender Bundespräsident, dessen Wiederwahl nur an einem hauchdünnen Stimmenvorsprung hängt - das hat es in der Bundesrepublik noch nie gegeben. Theodor Heuss, Heinrich Lübke und Richard von Weizsäcker kandidierten zwar ebenfalls ein zweites Mal. Aber sie konnten sich von vornherein auf komfortable Mehrheiten stützen. Das Fünf-Parteien-System macht die Politik ein Stück unkalkulierbarer und spannender. Dieser Trend verschont auch nicht das höchste Amt im Staat. Die Kandidatur von Gesine Schwan hat die Demokratie belebt. Der Wettstreit um Schloss Bellevue wertet das Amt auf, weil es dadurch stärker ins allgemeine Bewusstsein rückt. Und weil klar wird, dass es sich bei der Wahl des Bundespräsidenten nicht um einen langweiligen Automatismus handelt. Es kommt in der Bundesversammlung tatsächlich auf die Entscheidung jedes Einzelnen an. Die Politikprofessorin Gesine Schwan hat sich in den vergangenen Monaten mit Elan in die Schlacht geworfen. Sie hat intellektuell geglänzt und gute Reden gehalten. In der jüngsten Zeit hat sie aber im Eifer des Gefechts Dinge gesagt, die ihre Sache nicht unbedingt befördert haben. Etwa ihre Weigerung die DDR klar und eindeutig als Unrechtsstaat zu bezeichnen. Das legt den Verdacht einer Anbiederung an die Linkspartei nahe. Schwans Hauptvorwurf an den Amtsinhaber, er profiliere sich auf Kosten der Politik, ist auch nur bedingt nachzuvollziehen. Gewiss, Köhler ist ein Außenseiter, der mit der Welt der Berufspolitiker fremdelt. Auch hat er öfter auf die Große Koalition geschimpft und zwei Gesetze nicht unterzeichnet. Doch dass er sich nicht als Marionette von Angela Merkel versteht, zeugt eher von der Unabhängigkeit des CDU-Mannes. Gerade die Große Koalition mit ihrem erdrückenden parlamentarischen Übergewicht verträgt den etwas schärferen Gegenwind aus Schloss Bellevue ausgezeichnet. Köhler hat versprochen unbequem zu sein, und das hat er eingelöst. Der Mann aus Schwaben wird nie ein mitreißender Redner werden. Aber es gibt zumindest einen beeindruckenden Satz, der im Gedächtnis haften bleibt: "Für mich entscheidet sich die Menschlichkeit am Schicksal Afrikas." Der Ökonom Köhler denkt konsequent in jeder Rede das Schicksal der Entwicklungsländer mit. Für ihn ist Globalisierung kein leeres Wort. Außerdem kommt er gut mit den Menschen klar. Es deutet einiges darauf hin, dass Köhler am Samstag wieder gewählt wird. Das wäre nicht das schlechteste. Schief gewickelt wären allerdings diejenigen, die meinen, dass Köhlers Sieg als Signal einer bevor stehenden schwarz-gelben Wende dienen könnte. Das hat schon beim vergangenen Mal nicht hingehauen. Andersherum wäre auch ein Sieg von Gesine Schwan kein Indiz dafür, dass die SPD und die Linkspartei trotz aller Dementis nach der Bundestagswahl doch zusammenarbeiten möchten. Zweifellos würden aber viele Beobachter und vor allem Union und FDP diesen Vorwurf an die Sozialdemokraten richten. Deshalb könnte es sein, dass SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier nicht ganz so traurig ist, wenn der nächste Bundespräsident doch wieder Horst Köhler heißt.
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