Neue Westfälische: KOMMENTAR Deutsche Afghanistan-Politik Nicht reif CARSTEN HEIL
Bielefeld (ots)
Die Deutschen haben es so gewollt. Was einst langsam, fast beiläufig anfing, ist heute in eine schwierige militärische Lage in Afghanistan mit Toten und Verwundeten gemündet und hat die deutsche Politik und Diplomatie in tiefe Verwirrung gestürzt. Der politisch-diplomatische Umgang mit dem, von einem deutschen Soldaten angeordneten, Bombardement auf zwei Tanklaster in Kundus und die innenpolitische Debatte darüber zeigt: Deutschland ist politisch nicht reif für die Weltbühne. Doch zum Anfang. Kaum war die deutsche Einheit 1990 formell vollendet, drängte sich schon die CDU/FDP-Regierung von Kanzler Helmut Kohl nach einem ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat. Dafür verlangte die Uno Gegenleistungen. Zwar ist der deutsche Drang nach mehr Bedeutung bis heute nicht in Erfüllung gegangen, aber konkrete Bundeswehreinsätze in Kambodscha und Somalia lösten die bis dahin übliche Scheckbuchdiplomatie ab. In den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts fiel es noch leicht, die Bundeswehreinsätze im Ausland als rein humanitäre Aktionen zu bezeichnen. Schon der Einsatz der rot-grünen Bundesregierung im Kosovo brachte 1998 die Zeitenwende. Deutsche Bomber griffen aktiv in Kampfhandlungen auf dem Balkan ein. Man machte sich wichtig. Endgültig vorbei mit der deutschen Beschaulichkeit war es am 11. September 2001. Des achten Jahrestages der El-Kaida-Angriffe auf die USA wurde gestern gedacht. Angesichts der machtvollen Bilder von den einschlagenden Flugzeugen, den qualmenden Zwillingstürmen in New York und dem zusammenbrechenden World Trade Centers konnte sich Deutschland nicht seinen Bündnisverpflichtungen entziehen. Für die Regierung von Gerhard Schröder kam die Stunde der Wahrheit. Tatsächlich ging es auch für Deutschland nun nicht mehr nur darum, sich selbst mehr Bedeutung in der Welt zu verschaffen. Jetzt ging es darum, die Freiheit am Hindukusch zu verteidigen. Dieser Satz des damaligen Verteidigungsministers Peter Struck ist heute noch richtig, auch wenn die Mehrheit der Deutschen das heute nicht mehr so sieht. Diese Ablehnung liegt daran, dass die deutsche Politik den Menschen nie ehrlich erklärt hat, was die Bundeswehr in Afghanistan macht: Krieg führen. Auch gegenüber den Verbündeten taten deutsche Politiker stets so, als seien ihre Soldaten nach wie vor in einem humanitären Einsatz. "Wir helfen den Afghanen, ihr bombt", lautete die Botschaft an die Amerikaner. Kein Wunder, dass die Alliierten nun die erste Gelegenheit nutzen, mit dem Finger auf die "guten" Deutschen zu zeigen. Deren Diplomatie reagiert mit Hilflosigkeit, indem sie ihre Botschafter bei den befreundeten Regierungen vorstellig werden lässt, sich die Kanzlerin "Kritik verbittet" . Ein Maulkorb aber steht einer Demokratie schlecht an. Wer international mitmischen will, muss erstens das eigene Volk mitnehmen und zweitens Druck aushalten können. Um beides scheint es in Berlin nicht gut bestellt.
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