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Neue Westfälische (Bielefeld): Christian Wulff Favorit fürs höchste Staatsamt Gesucht: Der Bürgerpräsident THOMAS SEIM

Bielefeld (ots)

Keine vier Wochen mehr und unser Land hat einen neuen Bundespräsidenten. Fünf Anmerkungen zur Wahl unseres neuen Staatsoberhauptes: 1. Mehrheiten: Nach Lage der Dinge wird Christian Wulff der neue Mann im Schloß Bellevue. Die Mehrheitsverhältnisse sind so eindeutig, dass ein Erfolg des Gegenkandidaten Joachim Gauck unwahrscheinlich ist. Das gilt, obwohl Rot-Grün mit Gauck ein Coup gelungen ist: Er ist ein Kandidat, der hohe Reputation genießt und auch christlich-liberale Wähler anzieht. Er darf außerdem als Warnsignal von SPD und Grünen an die Linkspartei gelten, dass sich nur im aufklärerischen Umgang mit der DDR - den die Linke in NRW verweigert hat - gemeinsame Koalitionszukunft gewinnen lässt. 2. Stil: Deutschlands politische Elite ist nicht besonders geübt im Umgang mit überraschenden Rücktritten von Bundespräsidenten. Das hat sich auch bei Horst Köhler gezeigt. Das Land war gespalten: Überrascht, verärgert und enttäuscht, aber zugleich auch voller Respekt für die Konsequenz Köhlers. In der Suche nach einem Ersatz ist es den handelnden Akteuren nicht immer gelungen, stilsicher und verantwortungsbewusst zu bleiben. Abzulesen war dies an der enttäuschten Mimik der Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, die lange als Merkels Favoritin galt. 3. Macht: Das Kanzleramt musste einmal zu viel betonen, dass Merkel nur Christian Wulff angerufen hat. Sehr schnell verbreitete sich nicht nur in Berlin folgende Sicht der Dinge: Merkel habe von der Leyen nicht durchsetzen können, weil die Ministerpräsidenten der Union Widerstand geleistet und Wulff durchgesetzt hätten. Daran allerdings ist Zweifel zulässig: Spätestens seit dem öffentlich angedeuteten Verzicht Wulffs auf die Kanzler-Perspektive - "Ich bin kein Alphatier" - und der Rettung des VW-Gesetzes durch Angela Merkel gab es ein entspanntes, konstruktives Verhältnis der beiden Politiker. 4. Perspektive: Angela Merkel ist jetzt konkurrenzlos. Die Riege kanzlerfähiger Ministerpräsidenten gibt es nach Rüttgers' Wahlniederlage, Kochs Ausscheiden und Wulffs Aufstieg nicht mehr. Merkel steht auf dem Gipfel ihrer Macht. Allerdings: Vom Gipfel pflegen alle Wege stets abwärts zu führen. 5. Christian Wulff: Der mutmaßlich neue Bundespräsident kommt sehr jung ins Amt. Sicher fehlt ihm - noch - eine neue Vision von dem Gemeinwesen Bundesrepublik, die er kraft Rede durchsetzen kann. Aber Wulff ist ausdauernd - er verlor in Niedersachsen zwei Mal gegen Gerhard Schröder, bevor er doch noch Ministerpräsident wurde - und kann Menschen für sich und eine Sache einnehmen. Er stammt vom Wirtschaftsflügel der Union, aber er wird versuchen, alle gesellschaftlichen Gruppen zusammenzuführen. "Versöhnen statt Spalten" lautet das Lebens- und Politik-Motto seines Vor-Vorgängers. Man darf Wulff zutrauen, dass er sich in dieser Tradition bewegen kann. Ein Bürgerpräsident wie es Johannes Rau war wäre in der jetzigen Lage des Landes nicht das Schlechteste.

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