Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar: NRW-Verfassungsgericht kippt Nachtragshaushalt Regieren wird nicht einfacher PETER JANSEN, DÜSSELDORF
Bielefeld (ots)
Die Richter des NRW-Verfassungsgerichts haben das Regieren in Düsseldorf nicht einfacher gemacht. Regierungen in jeder Zusammensetzung hatten es sich in den letzten Jahren mit der Aufnahme immer höherer Schulden ziemlich leicht gemacht, auch wenn damit die in der Verfassung festgelegte Grenze überschritten wurde. Eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts war schnell beschworen und damit die Obergrenze für neue Kredite hinfällig. Diesem reichlich leichtfertigen Umgang mit Artikel 35 der NRW-Verfassung hat das Gericht einen Riegel vorgeschoben. Es verlangt nachvollziehbare und plausible Begründungen, wenn die Regierung mehr an Krediten aufnehmen will, als sie für Investitionen ausgibt. Und es muss ebenso nachvollziehbar und plausibel dargelegt werden, wie die kreditfinanzierten Maßnahmen dazu beitragen, das wirtschaftliche Gleichgewicht wiederherzustellen. Das sind hohe Hürden, und mit weitschweifigen, aber inhaltsleeren Erklärungen wird sich das Gericht bei den nächsten Haushalten nicht zufriedengeben. Dann muss die rot-grüne Minderheitsregierung schon konkret begründen, warum etwa die Abschaffung der Studiengebühren oder der Verzicht auf Elternbeiträge im dritten Kindergartenjahr mithelfen, eine Störungslage zu beseitigen. Schon jetzt ist absehbar, dass es nicht gelingen wird, die bislang geplante Neuverschuldung so weit zu senken, dass in diesem Jahr die Kreditaufnahme den Vorgaben der Verfassung entspricht. Die Opposition, die jetzt mit ihrer Klage erfolgreich war, hat selbst wenig Anlass zu triumphieren. Nach der mittelfristigen Finanzplanung, die noch CDU-Finanzminister Helmut Linssen vorgelegt hatte, hätte auch eine CDU-FDP-Regierung in diesem Jahr deutlich mehr Schulden gemacht als erlaubt. Und bislang hat Schwarz-Gelb noch nicht dargelegt, wie die Ausgaben so gekürzt werden können, dass die Verfassungsgrenze eingehalten wird. Ob nach dem Urteil in Münster Neuwahlen in NRW wahrscheinlicher geworden sind, wie CDU-Generalsekretär Oliver Wittke vermutet, oder ob FDP-Fraktionschef Gerhard Papke mit seiner Prophezeiung recht behält, dass eine Vorziehung der Wahl nicht nötig werde, ist nicht abzusehen. Sicher ist, dass keine Regierung, egal wie groß ihre Mehrheit im Landtag ist, die Maßstäbe missachten darf, die das Verfassungsgericht in seinem Urteil gesetzt hat. Die Diskussion um Neuwahlen hat eine eigene Dynamik gewonnen. Wer sich von einer erneuten Wählerbefragung Vorteile verspricht, ist dafür, derzeit die CDU und die Grünen. Wer sich eher vor dem Ergebnis fürchtet, ist dagegen, im Moment vor allem die FDP und die Linken. Das kann sich alles schnell ändern und hat mit dem Verfassungsstreit nichts zu tun.
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