Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Erfolg der Grünen Vergänglich CARSTEN HEIL
Bielefeld (ots)
Nun sind die Grünen obenauf. Mit den Siegern wollen alle feiern, die Räume der Wahlpartys fassten am Sonntagabend die große Schar der Gratulanten gar nicht. In zwei Bundesländern haben sie massiv Stimmen hinzugewonnen, und in Baden-Württemberg stellt die Protestpartei von einst demnächst den Ministerpräsidenten. Aber wird Deutschland deshalb gleich grün? Ist ein grünes Zeitalter angebrochen? Keinesfalls. Sicher ist nur: Grün ist gerade sexy. Der Reiz von "sexy" kann jedoch schnell verfliegen. Das musste die FDP binnen Jahresfrist schmerzlich erfahren. Auch wegen massiver eigener Fehler, sicher. Aber verunsicherte, teilweise verärgerte und enttäuschte Wähler erweisen heute ihre Gunst und entziehen sie morgen wieder; oft abhängig von den Tagesereignissen. Die Bindungskraft von Parteien und Institutionen hat nachgelassen. Allerdings, und da unterscheiden sich die Grünen deutlich von den Liberalen, laufen alle Themen und Entwicklungen derzeit auf sie zu. Deshalb wird der grüne Höhenflug auch etwas länger anhalten als der gelb-blaue. Die Grünen haben in wichtigen Politikbereichen ein klares Profil. Der Ausstieg aus der Kernenergie steht in ihrer Verfassung, ist über Jahrzehnte Existenzzweck. Stärker noch als die Friedenskomponente, die inzwischen durch die Realpolitik aufgeweicht wurde. In Sachen Atom-Ausstieg besitzen die Grünen eine einmalige Glaubwürdigkeit. In der aktuellen Situation mit dem qualmenden Unglücksreaktor in Japan ein Riesenkapital. Doch schon zuvor hatte sich die politische Kultur in Deutschland zugunsten der Grünen verändert. Die Widerspruchs- und Protestbereitschaft der Menschen ist gestiegen. Auch das gehört zum Gründungsmythos der Grünen. Da mag Angela Merkel die "Dagegenpartei" ruhig verspotten. Dagegen zu sein ist heute ein Zeichen von Aufklärung. Während sich das bürgerliche Lager im Innersten nach klarer Führung sehnt und zunehmend von einer suchenden Union mit ihrer Kanzlerin Angela Merkel irritiert ist, wissen die Grünen wenigstens eines: was sie nicht wollen. Das kommt in der jungen, akademischen, gut verdienenden, städtischen Bevölkerung - auch der politischen Mitte - zunehmend an. Außerdem haben sich die Grünen weiterentwickelt. Sie haben konkrete Vorstellungen. An diesen Punkten liegt aber die Gefahr für sie. Wenn der Atomstreit vergessen ist, bemerkt ihre Fangemeinde aus "kritischer Bildungselite" vielleicht, dass die Grünen teuer für sie werden können: Spitzensteuersatz auf alle Einkunftsarten rauf, genauso wie die Beitragsbemessungsgrenze bei der Krankenkasse, beitragsfreie Mitversicherung für Ehegatten nur noch in Ausnahmefällen. Da werden dem Einzelnen schnell mehr als 1.500 Euro im Jahr abgezogen. Das ist dann nicht mehr sexy, der Grünen-Erfolg vergänglich. Und wie in Hamburg, wo Schwarz-Grün jüngst krachend gescheitert ist, werden auch die Grünen im Süden erfahren, dass Regieren andere Konsequenzen hat als Opponieren.
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