Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar: Der Tod des Terrorfürsten Neue Chance CARSTEN HEIL
Bielefeld (ots)
Genugtuung ist das Wort des Tages, nicht Jubel oder Freude. So verständlich die Reaktionen in Washington und New York mit Freudenfeiern ganz normaler Menschen über den Tod Osama bin Ladens sind, so ist Ausgelassenheit doch die falsche Reaktion. Erstens ist mit dem Tod des El-Kaida-Chefs die Terrorismusgefahr nicht wirklich vorüber. Zu vielköpfig ist die Hydra des Terrors inzwischen, zu weit verzweigt das Netzwerk von verblendeten islamistischen Bombenbastlern, zu eigenständig die einzelnen Organisationen und Untergruppierungen. Bin Laden war für El Kaida nur noch Symbolfigur, wenn auch eine sehr wichtige. Der Terrorfürst war nicht mehr derjenige - und schon gar nicht der Einzige -, der die Befehle für weitere Anschläge gab. Zweitens ist der Unterschied, ja der Gegensatz zwischen islamischer und westlicher Welt nach wie vor vorhanden. Darin ist weiterhin eine der wichtigsten Ursachen für den weltweiten islamistischen Terror zu suchen. Auch wenn die islamistische Gewalt ihre Opfer häufig unter Muslimen fand. Dieser tiefe Graben hat zur Folge, dass Hassprediger immer wieder opferbereite Selbstmordattentäter werden rekrutieren können. Drittens muss sich der zivilisierte, aufgeklärte Mensch fragen, ob ein Strafverfahren gegen Bin Laden nicht die bessere Alternative gewesen wäre. Es ist schwer zu beurteilen, ob eine Festnahme operativ machbar gewesen wäre, weil die Umstände der Aktion nicht in allen Einzelheiten und vermutlich nicht wahrheitsgemäß bekannt sind. Es drängt sich jedoch der Verdacht auf, dass die US-Elitesoldaten gar nicht darauf aus waren, ihre Zielperson lebend zu fassen, um sie einem ordentlichen Gericht zuzuführen. Kein Grund zur Freude, denn so besteht die Gefahr, dass der Verbrecher für seine Jünger zum Märtyrer wird und deren Gewaltbereitschaft nur noch mehr anstachelt - Rache für Osama! Dennoch gibt es Hoffnung für eine günstige Entwicklung, weshalb der Tod Bin Ladens vielleicht doch eine wichtige historische Zäsur markieren könnte. Jedenfalls wenn die USA nun eine kluge Strategie anwenden und den Kriegspfad verlassen. Weil ihr berechtigtes Bedürfnis nach Genugtuung, vielleicht auch nach Rache, nun befriedigt wurde, können die Amerikaner ihre Politik gegenüber dem Islam insgesamt überdenken. Sie könnten ihre Nahostpolitik sachlicher gestalten. Großer Pluspunkt: In vielen islamisch geprägten Ländern treffen sie nach den Umstürzen der vergangenen Monate auf andere Gegenüber. Sollte es den Vereinigten Staaten und ihren europäischen Verbündeten gelingen, die Demokratiebewegungen im Nahen Osten zu unterstützen, ohne sie in ihrem eigenen Sinne beeinflussen und dominieren zu wollen, könnte dem Terror langfristig der Boden entzogen werden. US-Präsident Barack Obama - immerhin Friedensnobelpreisträger - hat in seiner Fernsehansprache darauf hingewiesen, dass Amerika keinen Krieg gegen den Islam führt. Eine kluge Formulierung. Doch trotz der Hoffnung wird es noch viele Rückschläge geben.
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