Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Entscheidung in NRW Wähler-Botschaften THOMAS SEIM
Bielefeld (ots)
NRW hat gewählt - und die Erschütterung dieser Wahl reicht bis nach Berlin. Im bevölkerungsreichsten Bundesland wählen gut 20 Prozent der Gesamtbevölkerung - das hat eine stärkere Wirkung als die Wahlen in kleineren Ländern. Die Botschaften der NRW-Wahl, mit denen sich nun die Politik beschäftigen muss: 1. Persönlichkeiten entscheiden die Wahl. Ja, was denn auch sonst? Seit jeher haben jeweils die Parteien die Wahlen dominiert, die die überzeugendsten Persönlichkeiten für sich ins Rennen schicken konnten. In NRW hat es Hannelore Kraft geschafft, Wirtschaftskompetenz mit sozialer Verantwortung zu verbinden. Das ist der klassische Kompromiss, mit dem die Sozialdemokraten nicht zuletzt auch unter Johannes Rau fast vier Jahrzehnte das wichtigste Bundesland regierten. In beiden Kompetenzfeldern liegt Kraft klar vor ihrem Herausforderer Norbert Röttgen. 2. Die Sparpolitik à la Bundeskanzlerin Merkel ist in NRW abgewählt worden. Nach wie vor beschäftigt die Menschen zwar die Solidität der Staatsfinanzen und die Stabilität des Euro. Aber die Frage nach einer wachstumsorientierten Haushaltspolitik, die Maßnahmen zu einer Stabilisierung der Wirtschaft und der Arbeitsmärkte ergreift, gewinnt an Bedeutung. Damit erneuert sich eine Erkenntnis aus der französischen Präsidentschaftswahl: Nur wer das Thema solider Staatsfinanzen mit wachstumsorientierter Politik verbindet, wird erfolgreich sein. 3. Rot-Grün kann Mehrheiten gewinnen, und zwar auch in einem Fünf-Parteien-Parlament. Dem Bündnis ist es gelungen, die Linke überflüssig und die Piraten nebensächlich zu machen. Die FDP ist wieder da. Aber Schwarz-Gelb hat in elf aufeinanderfolgenden Landtagswahlen verloren. Damit wird die Machtfrage auch bundesweit wieder ein Stück offener. 4. Hannelore Kraft war schon vor der Wahl klar die stärkste politische Persönlichkeit in NRW - und in der SPD hinter dem Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel. Selbst wenn die Troika aus Gabriel, Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier in Berlin weiter die Geschäfte führt - die Kanzlerkandidatur wird nicht mehr von dieser Troika entschieden, sondern in Abstimmung mit der stärksten Landesvorsitzenden. Auch wenn Hannelore Kraft eine solche Kandidatur für sich selbst ausgeschlossen hat, wird die Frage weiter an Sie gestellt werden. Und sie wird beantworten müssen, ob sie ein so starkes Bürger-Votum für ihre Person ignorieren kann. 5. Norbert Röttgen ist der große persönliche Wahlverlierer. Er hat - zunächst in NRW - daraus sofort und richtigerweise die Konsequenzen gezogen. Aber das Ausmaß dieser Niederlage wirkt weit in die Union hinein, auch in die Bundesregierung. Dass Angela Merkel der Strategie ihres eigenen Ministers öffentlich die Unterstützung entzog, wird Wirkung auf die innerparteiliche Debatte haben. 6. Vermutlich hat bereits der Bundestagswahlkampf 2013 begonnen. Es wird ein harter Lagerwahlkampf werden. Das Merkel-Lager ist gestern kleiner geworden.
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