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Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar: Joachim Gauck Ein politischer Präsident ALEXANDRA JACOBSON, BERLIN

Bielefeld (ots)

Die Erwartungen an den elften Bundespräsidenten Joachim Gauck waren hoch. Noch ist seine Präsidentschaft jung und der 72-jährige ostdeutsche Pastor nicht einmal 100 Tage im Amt. Doch es lässt sich guten Gewissens sagen, dass er die Erwartungen bisher erfüllt hat. Gauck hat dem Amt Würde und Autorität zurückgegeben. Man hört wieder mit ungeteilter Aufmerksamkeit zu, was uns der Bundespräsident zu sagen hat. Aber Gauck ist nicht nur authentisch und ein geübter Mann des Wortes, er ist auch ein politischer Präsident. Nirgendwo zeigte sich das besser als auf seiner Nahostreise. Er hat den Respekt sowohl der Israelis als auch der Palästinenser gewonnen und durchweg den richtigen Ton getroffen. Natürlich hat er auch die israelische Siedlungspolitik in den besetzten Palästinensergebieten kritisiert, und das absolut zu Recht. Aber er hat seine Kritik aus einem ehrlichen Geist der Freundschaft heraus entwickelt, ohne Schaum vorm Mund und ohne die Maßlosigkeit, die sich andere angebliche Israelfreunde hin und wieder leisten. Deutschland wird Israel immer in besonderer Weise verbunden bleiben, schon weil die Existenz des jüdischen Staates, aber auch seine Politik und seine Ängste von der geschichtlichen Erfahrung des Holocausts nicht zu trennen sind. Joachim Gauck weiß das und hat das in einfühlsamer Art zum Ausdruck gebracht. Insgesamt ist Gauck ein Staatsoberhaupt, das sich ungerne Gedanken oder Formulierungen von anderen borgt. Er denkt selber und spricht häufig frei. Seine Unabhängigkeit führt manchmal zu verbalen Zusammenstößen. So hat er sich von einer Äußerung Angela Merkels distanziert, das Existenzrecht Israels sei Teil der deutschen Staatsräson. Inhaltlich liegt Gauck hier zwar ganz nahe bei der Kanzlerin, aber er wählte lieber die eigene Formulierung: Das Existenzrecht sei "bestimmend" für die deutsche Politik. Und in einem Interview mit der Zeit hat Gauck seinen Vorgänger Christian Wulff kritisiert: Er selbst hätte den Wulff'schen Satz "Der Islam gehört zu Deutschland" so nicht gesagt, sondern lieber die Wendung gewählt, dass die Muslime, die hier leben, zu Deutschland gehören. Es erstaunt, dass ein Bundespräsident die Bundeskanzlerin korrigiert und auch seinen Vorgänger im Nachhinein richtigstellen will. Ehrlich gesagt wären beide Einwürfe nicht unbedingt nötig gewesen. Dass die hier lebenden Muslime zu Deutschland gehören, stimmt zweifellos. Dass der Islam aber nicht dazugehören soll, führt zu einer verqueren, überflüssigen Debatte. Auch ragt dieser Wulff'sche Satz als einzige politische Hinterlassenschaft aus einer ansonsten eher verkorksten Präsidentschaft heraus. Hier deutet sich an, dass Joachim Gauck auf einen Hang zur Besserwisserei aufpassen muss. Allerdings bezeichnet sich Gauck selbst noch als Lernenden, und Anfängerfehler sind noch jedem Bundespräsidenten passiert. Insgesamt ändert diese Beobachtung nichts an dem positiven Gesamtbild. Joachim Gauck ist als Bundespräsident ein Glücksfall.

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