Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Organspenden-Skandal Der Staat ist gefragt CARSTEN HEIL
Bielefeld (ots)
Als gäbe es rund um das Thema Organspende/Organtransplantation nicht schon genug Probleme. Bisher kreisten die unterschiedlichsten Debatten um ethisch- moralische Dinge, um individuelles Empfinden und Denken, um die Frage "Bin ich auch wirklich tot, wenn mir als Spender ein Organ entnommen wird, welche und wessen Interessen stecken hinter den Entscheidungen?". Fast ausschließlich ging es um die Seite der Spender und um die Spendenbereitschaft. Das kriminelle Wirken einzelner Mediziner in Göttingen und Regensburg - nach heutigem Kenntnisstand "einzelner" - lenkt den Blick jetzt auf die andere Seite. Die Seite der Empfänger. Wer bekommt das extrem knappe Gut "Spenderorgan", nach welchen Kriterien wird es verteilt, an wen - und warum? Die verdächtigen Mediziner haben bisherigen Ermittlungen zu Folge die Empfängerlisten so geändert, dass die Patienten ihrer Klinik anderen vorgezogen wurden, obwohl jene oben auf der Liste standen. Die Diskussion darum wird erst so richtig losgehen, wenn sich bei den Ermittlungen herausstellen sollte, dass wegen dieser Manipulationen andere wartende Patienten gestorben sind, die aus medizinischer Sicht eher dran waren. Wie überall gelten auch beim Geschäft mit den Organen so lange die Gesetze des kalten Marktes, bis der Staat eingreift. Der Markt entsteht überhaupt erst durch ein knappes Angebot bei einer großen Nachfrage. Und das Geschäft wird für die Beteiligten umso interessanter und lukrativer, je weiter Angebot und Nachfrage auseinanderliegen. Die Gesetze des Marktes aber zerstören zunehmend Vertrauen, weil hohe Gewinnspannen Kriminalität Vorschub leisten, ja sie sogar zwangsläufig erzeugen. Das erleben wir seit einigen Jahren im Finanzsektor. Im Drogengeschäft und bei der Prostitution ist das seit Ewigkeiten bekannt. Nur geht es in der Organfrage um Leben und Tod. Ohne Vertrauen der Spender und ihrer Angehörigen in das System wird aber das Gut "Spenderorgan" immer knapper. Schon verweigern Menschen es unter Hinweis auf den Skandal, ihre Organe zu spenden. Eine verständliche Reaktion. Sie bestraft aus nachvollziehbarer Empörung aber die Falschen für das kriminelle Verhalten einiger weniger Ärzte. Menschen, die seit Jahren auf eine Spenderniere warten, den Tod vor Augen, sind die Leidtragenden. Sie können am wenigsten dafür, dass das Vertrauen in das System erschüttert wurde. Es muss eine Kontrollinstanz geschaffen werden, die keinerlei eigene Interessen in dem ganzen blutigen Handel hat. Wer an dieser Stelle nach dem Staat ruft, stellt deshalb nicht die Integrität aller am System beteiligten Ärzte in Frage. Nicht bei allen Problemen ist der Staat die beste Lösung, aber das Thema Organspende ist zu sensibel, rührt an zu tiefe Ängste auf allen Seiten, stellt existenzielle Fragen und beinhaltet ein zu großes materielles und ideelles Geschäft, als dass sie Privatorganisationen anvertraut werden kann. So könnte Vertrauen zurückgewonnen werden, das für die möglichen Empfänger überlebenswichtig ist.
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