Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Armutsbericht Schöngeredet ALEXANDRA JACOBSON, BERLIN
Bielefeld (ots)
Redet man über Armut und Reichtum, ist es schon sinnvoll, an ein paar grundlegende Dinge zu erinnern. Deutschland ist nicht Bangladesh, sondern ein wohlhabendes Land. Es gibt erfreuliche Entwicklungen, über die man nicht schweigen sollte, vor allem der Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit. Trotzdem existieren Tendenzen, die zu Recht von der Bevölkerung als ungerecht empfunden werden. Selbst wenn aktuell die Einkommensschere mal nicht weiter aufgeht, ist das Auseinanderklaffen jahrelang bittere Realität gewesen. Bis zur Finanzkrise 2008 sind die Realeinkommen der großen Mehrheit gesunken oder haben stagniert, während die Topverdiener immer mehr Geld anhäuften. Das Ergebnis des Wirtschaftswachstums kommt nach wie vor überwiegend einer kleineren Schicht ganz oben zugute. Und diese Besitzer von großen Vermögen beteiligen sich zu wenig an der Finanzierung des Staatswesens. Es ist das Verdienst von Ursula von der Leyen, dass sie in dem ursprünglichen Armuts- und Reichtumsbericht auf all die kritischen Tendenzen hingewiesen hatte. Nicht nur die FDP wollte so einen schonungslosen Hinweis auf die Ungleichheit in der Gesellschaft aber nicht haben. Die Bundesregierung redet sich generell gerne die Lage schön, was auch in der seltsamen Bemerkung von Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Ausdruck kommt, es handle sich bei Schwarz-Gelb um die erfolgreichste Regierung aller Zeiten. Es gibt viel zu viele Niedriglöhner und zu viele Alleinerziehende, die nicht über die Runden kommen, und für die Bildung wird viel zu wenig ausgegeben. Dass übrigens die FDP die Hinweise auf den Niedriglohnsektor ersatzlos aus dem Bericht gekegelt hat, gibt zu denken. Das spricht eigentlich nicht dafür, dass es die Liberalen mit ihrem Bekenntnis zu Lohnuntergrenzen wirklich ernst meinen.
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