Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Die dunkle Seite der digitalen Welt Es geht uns alle an HUBERTUS GÄRTNER
Bielefeld (ots)
Datenschützer erheben immer wieder ihre kritischen Stimmen, aber nur wenige Menschen wollen sie bislang wirklich hören. Als die Beauftragten des Bundes und der Länder Anfang September zu ihrer Konferenz zusammenkamen, war der Skandal um den amerikanischen Geheimdienst in Deutschland publik geworden. Die Aktivitäten des US-amerikanischen und des britischen Geheimdienstes würden auf eine "globale und tendenziell unbegrenzte Überwachung der Internetkommunikation hinauslaufen", konstatierten die Datenschutzbeauftragen. Die "staatliche Pflicht zum Schutz der Grundrechte" erfordere es, sich "nicht mit der gegenwärtigen Situation abzufinden". Dann kam die Bundestagswahl, wo der Datenschutz so gut wie keine Rolle spielte. Im Gegenteil: Parteien wie FPD und Grüne, die ihn früher noch halbwegs hochgehalten hatten, verloren drastisch an Stimmen. Und die Piraten wurden pulverisiert. Sogar jetzt, wo publik geworden ist, dass der US-Geheimdienst die Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie etliche weitere Staatschefs abgehört hat, herrscht eher Schadenfreude denn wilde Empörung. Tatenlosigkeit war aber immer gefährlich. Schon die Philosophen Theodor Wiesengrund Adorno und Max Horkheimer hatten 1949 in ihrem Buch "Dialektik der Aufklärung" eine "rätselhafte Bereitschaft der technologisch erzogenen Massen" konstatiert, sich totalitären Ideologien und Herrschaftsformen zu unterwerfen. Doch die Deutschen, die Gestapo und Stasi eigentlich kennen sollten, bleiben heute still und stumm. Warum? Vielleicht wissen sie nicht, wo sie anfangen sollen. Der Skandal erscheint ihnen zu groß und zu abstrakt. Vermutlich hat die permanente Mobiltelefonie, Internetnutzung und E-Mail-Schreiberei auf den kleinen Guck-Guck-Geräten viele aber auch schon trunken gemacht - und sie leiden an Wahrnehmungsstörungen. Vielleicht denken sie aber auch, dem guten Menschen werde schon nichts passieren. Geheimdienst, das sei Bond. Peng, bumm - tot, aber allenfalls bei Popcorn und im Kino. Leider beruht dieses Denken auf einem schweren Irrtum. Denn die gewaltige Datenerfassung, die Sammelwut, die ausufernde Videoüberwachung in der modernen Gesellschaft geht nicht nur einige wenige, sondern uns alle an. Sie schränkt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und damit die Freiheit ein. Wenn wir zu gläsernen Menschen werden, kann man uns leicht und umfassend kontrollieren und manipulieren. Zum großen Teil ist das schon geschehen. Banken, Unternehmen und Behörden verknüpfen die erhobenen Daten. Sie erstellen Profile, grenzen uns nach Belieben aus oder bedienen unsere geheimsten Wünsche. Die Öffentlichkeit muss gegen die dunkle Seite der digitalen Welt unbedingt kritischer werden. Wir Nutzer müssen viel vorsichtiger agieren und die Politik durch breiten Protest zwingen, uns vor Datenkraken zu schützen. Denn das Treiben des Geheimdienstes NSA stellt wohl selbst die schrecklichsten Albträume von George Orwells düsterer Zukunftsvision "1984" in den Schatten.
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