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Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Gabriels Leipziger Rede Zarter Schwenk in die Mitte ALEXANDRA JACOBSON, LEIPZIG

Bielefeld (ots)

Selten hat Sigmar Gabriel auf einem SPD-Parteitag so wenig Beifall bekommen. Und doch war diese nachdenkliche Rede von Leipzig mutiger als viele seiner lauten Hauruck-Ansprachen. Selbstkritische Reflexion ist nun mal traditionell keine Stärke von Volksparteien. Im Regelfall ist es immer der böse politische Gegner, der an allem schuld ist. Aber für die mageren Ergebnisse der Sozialdemokratie auf Bundesebene trägt nicht Angela Merkel die Verantwortung. Die größten Fehler hat die SPD schon immer alleine gemacht, ganz ohne fremde Hilfe. Nicht zuletzt war es Sigmar Gabriel, der die Bundespartei zu einseitig auf einen linken Wohlfühlkurs ausgerichtet hat. Der Preis dafür ist hoch: Die Menschen trauen der SPD keine Wirtschaftskompetenz mehr zu. Diese Qualität wird fast nur noch der Union zugeschrieben. Aber einer Partei, die nicht den Anspruch hat, die Wirtschaft zum Blühen zu bringen, traut man die Kanzlerschaft nicht zu. Warum sollte nur die CDU immer von der SPD abkupfern? Auch die Sozialdemokraten können ab und zu von der Union lernen. Selbst den Abbau der kalten Progression kann sich Gabriel jetzt vorstellen. Die SPD soll nach dem Willen ihres Chefs die kulturelle Kluft zur Arbeiterschaft schließen, die neuerdings mehrheitlich Union wählt. Die SPD soll auch weiblicher werden und sich stärker um individuelle Freiheitsräume kümmern. Gabriel möchte seine Partei wieder breiter aufstellen, nicht mehr nur als Vertreter der Schwachen und Beladenen oder als Betriebsrat der Nation. Die SPD darf wieder ein Stück in die Mitte rücken. Dass Rot-Rot-Grün für die Zukunft nicht ausgeschlossen wird, steht dazu nicht im Gegensatz. Zum einen bindet Gabriel dadurch die Linke innerhalb der SPD ein, zum anderen positioniert er sich in den Koalitionsverhandlungen gegen Neuwahl-Drohungen aus der Union. Gabriels Botschaften sind noch nicht ausbuchstabiert. Leipzig markiert einen zarten Anfang. Um den Schwenk sinnlich erfahrbar zu machen, muss Gabriel nun selbst Verantwortung übernehmen - am besten als Wirtschafts- und Energieminister in einer großen Koalition. Da könnte er soziale Sensibilität und wirtschaftliche Vernunft zusammenbringen. Gelänge die Energiewende so, dass die Wirtschaft wettbewerbsfähig und die Strompreise bezahlbar blieben, wäre etwas Großes geschafft. Voraussetzung ist natürlich, dass die SPD-Basis die Parteispitze in die große Koalition lässt. So viel Respekt und Vertrauen hätte diese Führung allemal verdient. Wenn sich die Basis querstellt, verlieren sowohl die Partei als auch das Land.

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