Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Kritik am Exportüberschuss Wenn das so einfach wäre STEFAN SCHELP
Bielefeld (ots)
Frechheit! Die Brüsseler Spitzen wollen uns Deutsche ankäsen, weil wir wirtschaftlich erfolgreich sind? Wegen unseres Exportüberschusses sollen wir an den europäischen Pranger? Unglaublich! Wut und Unverständnis sind die ersten Reaktionen, die das Brüsseler Ansinnen bei den meisten Deutschen auslöst. Mancher mutmaßt gar, dass die Attacke aus Brüssel gerade jetzt kommt, weil die Bundesregierung nur noch geschäftsführend im Amt ist und sich die Koalitionsverhandlungen quälend lange hinziehen. Und nicht von ungefähr pocht die CSU nun ihrerseits darauf, dass überschuldete Südstaaten der EU verwiesen werden müssten. Schulden übrigens, die diese Staaten auch gemacht haben, um die Importe aus Deutschland zu finanzieren. Die Schulden des Auslands sind eben auch die Kehrseite des deutschen Exportüberschusses. Wer allerdings die Wut als einzige Reaktion zulässt, der verkennt, dass Deutschland eben kein globaler Einzelkämpfer mehr ist, sondern ins europäische Wirtschaftsgebilde verwoben. Die deutsche Regierung hat seinerzeit zugestimmt, die Defizitgrenze bei drei Prozent zu setzen, die Marke für den Außenhandelsüberschuss bei sechs Prozent der Wirtschaftsleistung. Und diese Grenze hat Deutschland bereits drei Jahre in Folge gerissen. Wer auf der einen Seite verlangt, dass die Defizitsünder am Kanthaken genommen werden, darf sich auf der anderen Seite nicht wundern, wenn er selbst auch ins Visier gerät. Viel interessanter ist ohnehin die Frage, welche Möglichkeiten denn die deutsche Wirtschaft hätte, das Kräfteverhältnis gemäß Brüsseler Wünschen wenigstens etwas besser auszutarieren. Die Binnennachfrage stärken, den Konsum ankurbeln, antworten die Experten der EU-Kommission. Wenn das so einfach wäre. Natürlich, man könnte die Löhne erhöhen und so die Geldbörsen potenzieller Konsumenten füllen. Allerdings herrscht in Deutschland Tarifautonomie. Und der Mindestlohn, der tatsächlich die Kaufkraft schlecht bezahlter Arbeitnehmer stärken könnte, ist von den Koalitionären noch nicht ausdiskutiert. Steuern senken - das wäre eine weitere Möglichkeit. Allerdings ist auch diese Variante höchst umstritten. Und ebenso wie beim Punkt "höhere Löhne" ist fraglich, ob von diesem Plus ausgerechnet in den südeuropäischen Ländern etwas ankäme. Bleibt das Thema Investitionen. Nach mehreren Quartalen mit zurückgehenden Investitionen der Unternehmen scheint die Bereitschaft, Geld in die Hand zu nehmen, in der Wirtschaft gestiegen zu sein. Zöge jetzt auch die öffentliche Hand hinterher, investierte endlich Milliarden in marode Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur, blieben Aufträge auch bei den schwächeren europäischen Nachbarn hängen. Das allerdings würde voraussetzen, dass die Bundesregierung den strikten Sparkurs verlässt, den sie auch den europäischen Partnern predigt. Und das erscheint - zumindest derzeit - ziemlich realitätsfern.
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