Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Zuwanderung Gewinn und Verlust BERNHARD HÄNEL
Bielefeld (ots)
Deutschland schrumpft und altert. Gleichzeitig wollen so viele Menschen aus dem Ausland herziehen wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr. Ein Segen für das Land, auch für das Bundesland Bayern. Für immer mehr Menschen ist Deutschland ein hoch attraktives Land, das Arbeit und Wohlstand verheißt. Statt aber darauf stolz zu sein, wird Angst geschürt. Chancen werden kleingeredet, Risiken in den Mittelpunkt gestellt. Fakten interessieren wenig, wenn Vorurteile ob des kurzfristigen Erfolgs an der Wahlurne gepflegt werden sollen. In dieser Situation einmal die Brille und den geografischen Standort zu wechseln schafft neue Einsichten. Betrachten wir also mal die Situation aus bulgarischer oder rumänischer Sicht. Dann wird Zuwanderung zu Abwanderung, und aus Gewinn wird Verlust. In Zahlen ausgedrückt: Seit Ende des Kommunismus sank die Einwohnerzahl Bulgariens von 9 auf 7,4 Millionen Einwohner. Durch Abwanderung. Rumänien verlor fast 4 Millionen Einwohner. Darunter befinden sich nicht wenige der klügsten Köpfe der Nationen. So hat Rumänien seit 2007 mindestens 13.000 Ärzte ans Ausland verloren. Allein in Deutschland sind nach Angaben des Ärzteverbandes rund 2.900 Ärzte registriert. In Bulgarien sollen 80 Prozent der Mediziner an Abwanderung denken. Ähnliche Zahlen gibt es für Maschinenbauer, Elektrotechniker oder Brückenbauer. Klar, dieser Exodus hängt mit weit besseren Verdienstmöglichkeiten in Westeuropa zusammen. Zieht man zudem die Korruption in den Balkanrepubliken hinzu - eine Arztstelle kostet 15.000 bis 30.000 Euro Bestechungsgeld -, wächst sogar Verständnis für Abwanderungswünsche. Gesund ist es trotzdem nicht. Nicht nur, weil die Staaten viel Geld in die Ausbildung von Medizinern und Ingenieuren investiert haben. Der Exodus der geistigen Elite verhindert zudem nahezu komplett die Entwicklungschancen der Staaten. So wird unser Segen zum Fluch unserer europäischen Partner. Dieses Argument, so wünschte man sich, müsste die Debatten in Deutschland über die Zuwanderung beherrschen; allemal bei Parteien, die dem Namen nach christlich sind. Dazu gehörte, Bulgarien und Rumänien zu Vollmitgliedern der Europäischen Union zu machen. Beide Staaten hatten weder 2007 noch heute die Standards erreicht, die die Mitgliedschaft rechtfertigten. Weder was die Rechtsstaatlichkeit betrifft noch die Wirtschaftskraft. Nicht von ungefähr verpufft die finanzielle Unterstützung aus Brüssel in Sofia und Bukarest. Ein nicht enden wollender Teufelskreis. Statt verbaler Jagd auf vermeintliche Betrüger sollte die CSU all ihre Kraft darauf verwenden, dass den EU-Partnern effektive Hilfe zuteil wird. Etwa indem die EU die Regierungen mit Experten unterstützt beim Aufbau einer demokratischen Verwaltung und dem korrekten Einsatz der Mittel aus den EU-Fonds. Dafür Druck zu machen ist allemal redlicher als populistische Rhetorik gegen kaum messbaren sogenannten Sozialmissbrauch.
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