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Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Die ersten hundert Tage von Schwarz-Rot Nah an den Menschen Alexandra Jacobson, Berlin

Bielefeld (ots)

Eine Umfrage des Instituts Allensbach brachte jüngst Erstaunliches ans Tageslicht: Nach Jahrzehnten einer sich beschleunigenden Politikverdrossenheit wächst das Ansehen staatlicher Institutionen und Organe inzwischen wieder. Sogar von einer Trendwende war die Rede. 39 Prozent der Bürger haben wieder eine gute bis sehr gute Meinung von der Bundesregierung und dem Bundestag. Das ist immerhin der höchste Wert seit 20 Jahren. Und nur noch 14 Prozent der Deutschen sind mit der Demokratie nicht zufrieden. Der mildere Blick auf das politische System und seine Repräsentanten mag auch damit zusammenhängen, dass die Deutschen ihre wirtschaftliche Situation als ausgesprochen gut einschätzen. Anlässlich der Hunderttagebilanz der Großen Koalition liegt aber auch die Vermutung nahe, dass das neue Vertrauen mit der Politik von Schwarz-Rot zu tun hat. Der Start der Regierung war wegen der Vertrauenskrise durch die Edathy-Affäre zwar ausgesprochen holprig, aber mittlerweile nimmt die Koalition Fahrt auf und zeigt klare Konturen. Die Regierung ist nah bei den Menschen und räumt mit Missständen auf, die die Bürger seit langem aufregen. Dass in den Ballungsgebieten die Mieten seit Jahren in astronomische Höhen klettern und die Makler den Wohnungssuchenden zusätzlich das Geld aus der Tasche ziehen, ist ein Ärgernis. Mit einer gesetzlichen Mietpreisbremse dagegen anzugehen ist eine gute Idee. Dass Beschäftigte, die die ganze Woche schuften, mit Hungerlöhnen abgespeist werden und zum Leben zusätzlich Geld vom Staat benötigen, ist empörend. Gut, wenn es bald den gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn gibt. Mehrheitlich auf positive Resonanz stoßen auch die Rentenpläne der Bundesregierung. Dass die Erziehungsleistung der Mütter besser honoriert wird und Beschäftigte nach 45 Beitragsjahren in den Ruhestand gehen dürfen, halten die meisten für richtig. Hier kann man zwar die Ansicht vertreten, dass damit den jungen, geburtenschwachen Generationen eine zu große Last für die Zukunft aufgebürdet wird, das ändert aber an dem Urteil der Bürger nichts. Die schwarz-rote Bundesregierung versucht stärker als die Vorgängerregierung, dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden zu entsprechen. Das hinterlässt zwar manchen frus-trierten Wirtschaftsvertreter, aber dafür existiert die Chance, dass sich die Lücke zwischen Politik und Gesellschaft verringert. Es sind vor allem die sozialdemokratischen Minister, die die sozialen Anliegen und die populären Themen vorantreiben. CDU und CSU verschwinden dahinter. Wettgemacht wird das durch die Bundeskanzlerin. Und einen Bundesfinanzminister, der weiter für den Euro kämpft, und eine Verteidigungsministerin, die sich mit der Transparenzoffensive in ihrem Haus auch eine mittlere Revolution vorgenommen hat. Wie immer diese Koalition in dreieinhalb Jahren dastehen mag, es ist unwahrscheinlich, dass der sozialdemokratische Beitrag nicht für jeden klar erkennbar sein sollte. Es sieht jedenfalls im Moment nicht danach aus, dass die Ängste der SPD, sang- und klanglos unterzugehen, Wirklichkeit werden.

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