Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Die Energiewende und ihre Herausforderungen Ohne Zaudern und Zögern MATTHIAS BUNGEROTH
Bielefeld (ots)
So lange ist es noch nicht her, da wurde der Rat von Experten, Deutschland müsse in der Energiepolitik künftig seinen Fokus auf die erneuerbaren Energien setzen und sich von der Kernenergie in absehbarer Zeit verabschieden, überwiegend von konservativen Politikern als romantisierende Öko-Spinnerei abgetan. Wirtschaftsvertreter fürchteten dramatische Umsatz- und Gewinneinbußen, da man mit einem solchen Energiekonzept als Industrieland im globalen Wettbewerb nicht mehr konkurrenzfähig sei. Diese Vorzeichen haben sich zu großen Teilen grundlegend gewandelt, und das ist richtig so. Politische Parteien von den Grünen bis hin zur CSU haben mittlerweile in unterschiedlichen Regierungskonstellationen in Berlin daran mitgearbeitet, den Paradigmenwechsel auf den Weg zu bringen, der heute unter dem Begriff "Energiewende" durchaus konsensfähig geworden ist. Mehr noch: Es ist mittlerweile sogar schick geworden, mit Fortschritten bei der Verwendung erneuerbarer Energien Standortmarketing zu betreiben. So wirbt zum Beispiel der Kreis Höxter in OWL mit dem Siegel "Bioenergieregion", das er vom Bundesumweltministerium verliehen bekommen hat. Gleichzeitig jedoch gibt es an vielen Orten in Ostwestfalen-Lippe Auseinandersetzungen in der Bürgerschaft um die weitere Ausgestaltung der Energiewende. Es geht unter anderem um die Ausweisung neuer Standorte für Windkraftanlagen, den Bau von Starkstromleitungen und die weitere mögliche Förderung für Biogas- und Photovoltaikanlagen. Nicht zuletzt ist in vielen Privathaushalten mittlerweile die Meinung vorherrschend: Die Kosten der Energiewende gehen zu Lasten des "kleinen Mannes", während die Großindustrie in Milliardenumfang entlastet wird, um sie konkurrenzfähig zu halten. Letztgenanntes Argument ist nicht völlig von der Hand zu weisen, doch der Umfang der Befreiung von der EEG-Abgabe für die Industrie sorgt bei vielen Experten für Kopfschütteln. Befreite Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) im Jahr 2000 rund 400 stromintensive Unternehmen von der EEG-Abgabe, stehen inzwischen rund 2.100 auf der Liste. Und es gibt berechtigte Zweifel, ob all diese im internationalen Wettbewerb stehen. Wenn große Energieversorger wie RWE heute einen Basis-Stromtarif von 28,9 Cent pro Kilowattstunde von Verbrauchern verlangen und gleichzeitig Großbetriebe wie Schlachthöfe diesen am Terminmarkt auf bis zu etwa 4 Cent reduzieren können, ist eine Unwucht in der Diskussion. Die privaten Haushalte, aber auch mittelständische Betriebe fühlen sich vor diesem Hintergrund zu Recht als Zahlmeister der Energiewende. So ist es für die Politik schwer, eine Debatte nachzuholen, der man sich jahrelang aus wahltaktischen Gründen entzogen hat. Alle müssen ihren Beitrag leisten, damit das Jahrhundertprojekt gelingt. Auch der Staat kann sich seinen Verpflichtungen nicht entziehen. Die Einbettung der Energiewende in ein europäisches Klimakonzept auch durch monetären Einsatz ist überfällig, damit das Ziel erreichbar und finanzierbar bleibt. Daran müssen wir festhalten. Ohne Zaudern und Zögern.
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