Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Gastbeitrag zum IS-Terror Krokodilstränen Arno Klönne
Bielefeld (ots)
Jetzt sind öffentliche Bekundungen von Entsetzen angesagt - die Regierenden der weltpolitisch mächtigen Staaten klagen über die Expansion des "Islamischen Staates", über das Vordringen seiner mörderischen Milizen. Auch über den Export der Nahost-Gewalt in die eigenen Lande. Und sie bedauern ihre eigene Hilflosigkeit. Zugespitzt gesagt: Es handelt sich um Krokodilstränen. Denn das blutige Treiben von "Gotteskriegern" entstammt keineswegs nur einer wahnhaften Auslegung von Religion, wie sie historisch auch bei anderen Glaubensrichtungen auftrat. Islamistischer Terrorismus heute ist wesentlich eine "Nebenwirkung" skrupelloser geopolitischer Vorgehensweisen der vermeintlich so aufgeklärten, angeblich nur auf die Durchsetzung von Menschenrechten sinnenden großen Mächte. Im Nahen Osten konkurrieren sie um Einflusszonen, um den Zugriff auf Ressourcen, um militärische Stützpunkte. Anrainerstaaten des umkämpften Terrains werden zur Hilfe genommen, über ihre Systemeigenschaften wird dabei hinweggesehen, je nach strategischen Interessen der großen Akteure. Das Gewaltarsenal der Terroristen entstammt der stetigen Zufuhr von Waffen, den Rüstungsimporten aus aller Welt, von China bis zu den USA, auch aus der Bundesrepublik. "Gotteskrieger" waren als Landsknechte willkommen, wenn sie externen Absichten in der Geopolitik dien-ten. Dass die Zauberlehrlinge sich gegen ihre Meister wenden könnten, war nicht bedacht oder wurde in Kauf genommen. Und nun sind die Big Player hilflos? Das müsste nicht so sein. Die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats wären in der Lage, gemeinsam dem Terrorismus den Boden zu entziehen - wenn sie es denn wollten. Aber in ihrer Praxis haben sie sich jenen Anforderungen längst entzogen, die den Kern der Gründungscharta der Vereinten Nationen bilden: alles zu tun gegen "die Geißel des Krieges", gegen eine gewalttätige Durchsetzung von eigennützigen Interessen. Wer angesichts der Gräuel im syrischen und irakischen Territorium den Blick nur auf den "Islamischen Staat" richtet, ist auf einem Auge blind. In den Grundmustern gegenwärtiger Weltpolitik steckt Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Lebensrecht von Menschen. Trotz ständiger Berufung auf "Menschenrechte" als hehre Ziele strategischer Operationen. Unser Gastautor ist emeritierter Professor für Soziologie an der Uni Paderborn.
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