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Neue Westfälische (Bielefeld): Griechenland Schulmeister Schäuble johann vollmer

Bielefeld (ots)

Im Struwwelpeter - diesem als Kinderbuch getarnten Werkzeug der schwarzen Pädagogik - schildert der Psychiater Heinrich Hoffmann im Jahr 1845 eindrücklich, was mit aufsässigen Kindern passiert. Sie verhungern (Suppenkasper), enden verstümmelt (Daumenlutscher Konrad, böser Friedrich) oder verbrennen gleich ganz bis auf die Schuhe (Pauline). Mindestens aber werden sie getadelt (Zappelphilipp), verspottet (Hanns Guck-in-die-Luft) oder öffentlich gedemütigt (die schwarzen Buben). Mehr als hundert Jahre hat diese Erziehung mit einer Mischung aus Härte, Gefühlskälte und Trostverweigerung das menschliche Miteinander geprägt. Und es ist kein Zufall, dass sich der gesellschaftliche Wandel in den 70er Jahren nicht nur in der modernen Pädagogik ausdrückte, sondern die Liberalisierung auch alle anderen Bereiche des Lebens bis hinein in die Politik erfasste. Die Entspannungspolitik unter Willy Brandt war gleichermaßen Vorbild und Resultat einer neuen Dialogfähigkeit. Sie war die Grundlage dafür, dass knapp 20 Jahre später das Undenkbare, der gewaltfreie Fall der Mauer, Wirklichkeit wurde. Entspannungspolitik bedeutete dabei vor allem auch eine Entspannung der politischen Sprache - die verbale Abrüstung nationaler Borniertheit und klischeehaften Machotums. Pauschalurteile über die Russen, die Polen, die Franzosen, die Deutschen werden zwar nie ihre alteingesessenen Plätze an den Stammtischen der Republik verlassen. Sie sind aber spätestens seit 1990, verbunden mit dem europäischen Einigungsprozess, nicht mehr Gegenstand der politischen Kultur. So dachte man zumindest. Doch in der Eurokrise erleben wir gegenwärtig eine beunruhigende Rückkehr nationaler, moralischer Überheblichkeit. Die Wiedergeburt der Bild-Zeitung zum Hetzblatt im eigenen Stil der späten 60er Jahre ist nur ein Beleg dafür. Das Blatt bedient in der Eurokrise nicht den Pöbel, sondern erschafft ihn erst. "Keine weiteren Milliarden für die gierigen Griechen" titelte die Bild zuletzt. Die Frankfurter Allgemeine ist nicht besser. Sie spricht von der "ideologiedurchtränkten Unfähigkeit" der Regierung Tsipras, die vom Geist des "politischen Ganoventums beseelt" sei. Bliebe diese kleingeistig-moralische Wende auf die Bild und FAZ beschränkt, wäre es verschmerzbar. Doch es scheint, dass abermals gesamtgesellschaftlich der Schulmeisterton die Musik macht. Auch das politische Geschäft erliegt den eigentlich überholten Mitteln der schwarzen Pädagogik. Es wird gedroht, geknebelt, sanktioniert. Es wird erzieherisch zurechtgewiesen, erniedrigt, gedemütigt. Aus seiner schwarzen Null im Haushalt zieht Finanzminister Wolfgang Schäuble trotz eines deutschen Rekordschuldenbergs offensichtlich die Gewissheit, dass nur am deutschen Finanzwesen die Welt genesen kann. Er soll in diesen Tagen seinen griechischen Amtskollegen Yanis Varoufakis und dessen Kommunikationsverhalten als "dümmlich naiv" abgetan haben. Man hört schon die Bild: Da sollen sich die Pleite-Griechen mal nicht so haben. Doch, sollen sie! Sie haben das Recht, inzwischen jedes Wort auf die Goldwaage zu legen. Wer die gewählte Regierung eines anderen Landes wie ein naseweises Kind abkanzelt, braucht sich nicht zu wundern, dass er Trotz erntet. Die schwarze Pädagogik wirkt nicht. Das Ergebnis ist für die EU verheerend. Island hat nun von sich aus abgelehnt, Mitglied zu werden - zu unattraktiv. Die EU, die einmal ein Generationentraum war, zerbröselt in den Händen ihrer Zuchtmeister.

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