Neue Westfälische (Bielefeld): Deutschland, Europa und die Flüchtlinge Langzeit-Strategie Carsten Heil
Bielefeld (ots)
Die Aufgabe ist enorm, und es wird Jahre, vermutlich sogar Jahrzehnte dauern, sie zu lösen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat es selbst am vergangenen Sonntag so ausgedrückt. Hunderttausende Menschen werden in den kommenden Monaten in die EU einreisen und damit auch nach Deutschland kommen. Es gibt keinen akzeptablen Weg, diesen Zustrom abrupt zu stoppen. Also muss man ihn akzeptieren und steuern. Denn es ist eine Illusion zu erklären, man müsse nur die Probleme in den Heimatländern lösen, dann blieben alle Flüchtlinge brav zu Hause. Die EU ist nicht mal in der Lage, das im Vergleich kleine Griechenland-Thema zu klären, wie dann die Lage in Syrien und im Irak, wie die existenziellen Nöte in Teilen Afrikas? Das umso weniger, als die Politik sich unendlich viel Zeit lässt. Während beim Thema "Grexit" ein kurzfristiger Gipfel den nächsten jagte, ist ein EU-Afrika-Gipfel erst für Dezember geplant, und selbst innerhalb Deutschlands wollen sich Bund und Länder erst am 24. September zusammensetzen. Wenn es um Geld, Rendite und Zinsen geht, ist keine Anstrengung zu groß. Bei Menschenschicksalen lässt sich die Politbürokratie Zeit. Dabei sind mehrere Stufen klar erkennbar, die nun auf unterschiedlichen Ebenen rasch in Angriff genommen werden müssen. Kurzfristig, mittelfristig und - ja schon heute - auch langfristig. Erstens: Ohne eine Einigung auf europäischer Ebene über die Verteilung von Flüchtlingen wird es nicht gehen. Die bisherigen Systeme sind unter dem Ansturm der Menschen zusammengebrochen. Nationale Lösungen werden immer zu klein sein und den Zustrom nicht auffangen können. Ausnahmslos alle EU-Mitglieder müssen ihrer Leistungsfähigkeit entsprechend Flüchtlinge aufnehmen, auch osteuropäische Staaten. Ohne Wenn und Aber. Zweitens: Deutschland muss sich schleunigst von seinem bisherigen Asylrecht verabschieden bzw. es um ein klares Einwanderungsrecht ergänzen, das auch Menschen abweist. Das nordamerikanische Punktesystem könnte Vorbild sein. Dazu gehört auch, dass die Balkanstaaten umgehend als "sichere Herkunftsländer" deklariert werden. Sonst werden nicht nur die Verwaltung und die Helfer, sondern auch die noch vorhandene Aufnahmebereitschaft der europäischen und deutschen Gesellschaft und schließlich die Einwanderer selbst überfordert, wie die Vorkommnisse in Suhl vom Mittwochabend zeigen. Die Asylverfahren müssen deutlich abgekürzt und beschleunigt werden. Binnen weniger Wochen würden so die Zuwandererzahlen um etwa die Hälfte reduziert. Drittens, und das ist vielleicht überraschend: Schon heute müssen Wege und Systeme erdacht und ausprobiert werden, wie Menschen aus anderen Ländern zum Nutzen aller Seiten langfristig in Deutschland integriert werden können. Es gehört eine Diskussion angestoßen, wie viel Fremdheit und Andersartigkeit die deutsche Gesellschaft aushält, die in den vergangenen Jahren immer mehr sich selbst genug wurde. Es gilt Anreize zu schaffen, dass sich Zuwanderer nicht nur in ihren eigenen Enklaven abkapseln und Ghettos bilden. Dazu gehört die Verpflichtung, Deutsch zu lernen, einen Beruf zu ergreifen. Das alles wird Jahrzehnte dauern, nach der akuten Krise aber Früchte tragen, die, wenn es gut läuft, sogar in der Heimat der Zuwanderer Positives bewirken. Leicht wird das freilich nicht.
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