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Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar 2016 kann ein gutes neues Jahr werden Pioniergeist statt Kleinmut THOMAS SEIM

Bielefeld (ots)

Hinter uns liegt ein großartiges Jahr, denn hinter uns liegt - anders als vor hundert Jahren - ein Jahr ohne Krieg in Mitteleuropa. Vor uns liegt eine Zukunft mit großen Möglichkeiten. Sicher sein können wir uns der guten Entwicklung allerdings nicht. Es erfordert schon unser Engagement und die Bereitschaft, sich den wichtigen und relevanten Zukunftsfragen zu öffnen und die Verantwortung für die Gestaltung der Zukunft zu übernehmen. Das größte Risiko für ein erfolgreiches Jahr 2016 ist der Einzug des Sankt-Florian-Prinzips in den Alltag und die Politik - nach dem Motto "Verschon' mein Haus, zünd' and're an". Es reicht nicht, die Willkommenskultur für Flüchtlinge nur dann zu leben, wenn es um die Ausgabe von Lebensmitteln und Kleidung in Auffanglagern geht, sie aber in Zweifel zu ziehen, wenn der Bau eines Flüchtlingsheims an der eigenen Grundstücksgrenze geplant wird. Es reicht auch nicht, den Charme unserer Landschaften und Städte zu preisen und Gäste aus aller Welt zur Bewunderung zu uns zu rufen, zugleich aber einzigartigen Events auf der Weltbühne den Platz zu verweigern - sei es aus Angst um die Sicherheit oder aus Sorge um finanzielle Risiken. Es reicht schließlich nicht, die Weltlage aus dem sicheren Vorgarten heraus mehr oder weniger klug zu beurteilen. Wir werden mehr einbringen müssen, wenn wir die sicheren Verhältnisse in 2015 auch für 2016 reklamieren wollen. Man kann dies alles auch konkret benennen: In der derzeit weltweit attraktivsten Metropole Berlin - aber nicht nur dort - werden dringend erforderliche Neubaugebiete für Neubürger stets von Einwänden derjenigen verhindert, die um den Wert ihrer Immobilie fürchten oder ein generelles Ressentiment gegen Zuwachs in nächster Umgebung haben. Die Schrebergartenkolonie "Oeynhausen" in Berlin-Charlottenburg etwa sollte mehreren hundert Wohnungen weichen. Ein Bürgerentscheid stoppte die dringend benötigte Wohnraumbeschaffung. Am gleichen Tag legte ein Bürgerentscheid auch die Bebauung des ausgemusterten Flughafens Tempelhofer Feld lahm. Natürlich haben die besitzenden Bürger berechtigte Interessen, die zu berücksichtigen sind. Natürlich sind Bürgerbegehren eine demokratische Errungenschaft. Aber diese Bürger haben auch eine Verantwortung für die Weiterentwicklung der Gesellschaft. Dazu ist ein fairer Ausgleich nötig. Das Ergebnis dieses Ausgleichs darf nicht per Blockade jeden Fortschritt unmöglich machen. Oder: Hamburg, dieses wunderbare Tor zur Welt, wird von den eigenen Bürgern der Lächerlichkeit preisgegeben, weil man Olympische Spiele für zu teuer und angesichts der aktuellen Flüchtlingslage für zu unsicher hält. Zu teuer? Zu unsicher? Sind das die Leitfragen, die man sich stellen und mit Ja beantworten darf, wenn man auch künftig Weltstadt bleiben will? Kleinmut hat Hamburg nicht zur erfolgreichen Hansemetropole gemacht. Das waren Risikobereitschaft und Pioniergeist eines mutigen Weltbürgertums. Columbus hätte jedenfalls mit Kleinmut und Kostenfurcht Amerika kaum entdeckt. Oder, mit Verlaub, etwas ganz anderes, vermeintlich weiter Entferntes: Der Einsatz der Bundeswehr vor Syrien und die Entsendung von Awacs-Luftüberwachung in die Türkei folgen einer veränderten und sich rapide weiter verändernden Macht- und Weltordnung. Putins Kurs der militärischen Stärke macht ihn in Syrien und im Türkeikonflikt zum gefährlichen Repräsentanten russischer Macht, auf den man wieder achten muss. Zugleich ziehen sich die USA spürbar aus dem Konfliktmanagement in Nahost und Südost-Europa zurück und konzentrieren sich auf den Pazifik. US-Präsident Obama hatte dies übrigens bereits vor seiner in Deutschland bejubelten Wahl angekündigt. Wer füllt nun das dort entstehende Vakuum, wenn die USA als Ordnungsmacht ausfallen? Gefüllt wird es so oder so. Europa - und damit auch Deutschland - wird sich dort verantwortlich kümmern müssen, will man das Feld nicht Putin oder dem Chaos überlassen. Dies auch deshalb - so schließt sich der Kreis - weil ohne eine europäische Antwort auf Krieg und Krisen in Nahost eine Entspannung der Flüchtlingssituation in der Bundesrepublik kaum zu erreichen sein wird. Das ist der Sinn einer EU. Vor uns liegt also ein wichtiges Jahr. Es hält großartige Chancen für uns alle bereit. Sankt Florian wird uns allerdings nicht dabei helfen, sie zu nutzen. Pioniergeist schon eher.

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