Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar: Sondersitzung des Landtags zur Kölner Silvesternacht Es geht um sexualisierte Gewalt FLORIAN PFITZNER, DÜSSELDORF
Bielefeld (ots)
Ob der Innenminister von NRW wegen der Kölner Silvesternacht in noch ärgere politische Not gerät, dürfte den meisten begrapschten und bestohlenen Frauen egal sein. Personelle Konsequenzen heilen weder Schmerzen noch Traumata. Man kann nur hoffen, dass Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und die rot-grüne Landesregierung ihre Versprechen halten: jede Form von sexualisierter Gewalt in den Blick zu nehmen und Frauen zu schützen, indem der Staat so früh eingreift, wie es das Gesetz erlaubt. Statt sich mit dem Ziel des "Maßnahmenpakets" der Regierung auseinanderzusetzen, fielen die Abgeordneten in alte Muster zurück: Sie verloren über weite Strecken den Anlass ihres vorgezogenen Treffens aus den Augen. Das ist ärgerlich und inzwischen Merkmal vieler Landtagsdebatten. Auch Kraft streifte den Aspekt nur zum Auftakt ihrer Rede. Als Frau könne sie sich "gut hineinfühlen" in die Lage im und am Kölner Hauptbahnhof, in das Gefühl der Schutzlosigkeit. Mit gemessenem Ton und langsamer Wortfolge drückte sie glaubwürdig ihr Mitgefühl aus - bis sie zum Kern ihrer Ausführungen kam: der Verteidigung ihrer politischen Linie. In einem Parlament lässt sich schwer über Interventionskonzepte streiten, über Krisenpläne, in denen man konkrete Zuständigkeiten und Vorgehensweisen im Misshandlungsfall festschreibt. Außerdem gehören gewisse Abläufe einfach dazu, genau wie Effekthaschereien und Eskalationsstufen. Es wirkt jedoch wenig vertrauenserweckend, wenn der Landtag - live übertragen - in Ritualen aufgeht, in Schuldzuweisungen und Abgrenzungen. Die Sondersitzung des Landtags zu den Vorgängen in Köln war keine Sternstunde. Zweifellos hat Innenminister Ralf Jäger für die Silvesternacht geradezustehen. Im Umgang mit den Informationen hat sich sein Haus mindestens unglücklich verhalten. Es dauerte lange, bis sich der Minister eine Entschuldigung abrang - als sei dies ein Ausweis von Schwäche. Was aber sollte man grundsätzlich vom obersten Dienstherrn der Polizei erwarten? Im Schnitt erreichen das Ministerium nach eigenen Angaben 1.500 Meldungen wichtiger Ereignisse im Monat, sogenannte WE-Meldungen. Persönlich lese der Minister davon "zwischen 10 und 15 Prozent". Er hat sich auf seine Männer verlassen. Leidtragende waren die Frauen, die gestern wahrscheinlich früh den Fernseher abgeschaltet haben.
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