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Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Merkel trifft Erdogan in Istanbul Der Chor der Scheinheiligen Wolfgang Mulke

Bielefeld (ots)

Die Bundeskanzlerin bleibt ihrer bekannten Linie treu. Sie redet mit dem angehenden Alleinherrscher Recep Tayyip Erdogan, der Journalisten ins Gefängnis sperrt und die Verfolgung unliebsamer Abgeordneter gesetzlich ermöglicht. Von der Rolle der Türkei im Syrienkrieg oder dem Krieg der Regierung gegen die Kurden und der Klagewelle Erdogans gegen Kritiker muss man auch sprechen. Kurz: Der türkische Präsident kann keinerlei Gemeinsamkeiten mit den Werten vorweisen, die Merkel mitbringt. Darf man mit so einem reden? Merkel hat all diese Punkte angesprochen und sich wieder die Zähne ausgebissen. Folgt man ihrer Darstellung, wurde zwar im kleinen Kreis Tacheles geredet, doch hat sich Erdogan in der Sache nicht einen Millimeter weit bewegt. Das bedeutet auch, dass es mit der Visafreiheit für die Türken vorerst nichts wird. Die Türkei ist nicht bereit, alle von der EU gestellten Bedingungen zu erfüllen. Das eigentliche Ziel der Europäer gerät dadurch aber kaum in Gefahr. Die Türkei soll eine Pufferzone für die Flüchtlinge bilden und nur einen kontrollierten Zugang der Syrer nach Europa zulassen. Bilder wie im letzten Jahr von den Grenzen zwischen Deutschland und Österreich oder der griechischen Inseln soll es nicht mehr geben. Das Abkommen sichert der Türkei im Gegenzug Milliardenhilfen zu. Es mag Erdogan sogar zupass kommen, wenn es mit der Visafreiheit nichts wird. So kann er seinen Landsleuten die Botschaft vermitteln, dass die Türkei von den Europäern gar nicht als echter Partner angesehen wird. Die Klage über Merkels Art der Politik reißt nicht ab. Allen voran ist CSU-Chef Horst Seehofer Vorsänger in dem Chor, der Merkel vorwirft, mit ihrem Willen zu einem Flüchtlingsabkommen erpressbar zu sein. Viel scheinheiliger geht es nicht. Erst verlangte er Obergrenzen für die Zuwanderung von Verfolgten, dann fand er die Schließung der Balkan-Route richtig, nun kritisiert er die Folgen davon. Die Flüchtlinge müssen irgendwo bleiben. Eine bessere Antwort, eine schnelle Alternative, hat Seehofer ebenso wenig zu bieten wie andere, die Merkel für ihre Türkeipolitik verbal unter Feuer nehmen. Das Abkommen mit der Türkei ist ein Stück schmuddelige Realpolitik, weil sich die Europäer nicht auf einen Konsens im Umgang mit der Massenflucht einigen. Man darf auch eine große Leistung der Türken nicht verkennen. Sie beherbergen drei Millionen Flüchtlinge. Eine solche Zahl würde im wohlhabenderen Deutschland massive Proteste auslösen.

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