Neue Westfälische (Bielefeld): Die Kritik am türkischen Präsidenten Erdogan wächst Europas rote Linie Thomas Seim
Bielefeld (ots)
Lange hat die EU, haben die Politiker an ihrer Spitzen nicht mehr so schnell so klar und so heftig eine politische Position bezogen wie im aktuellen Fall des in der Türkei gescheiterten Militärputsches. So wird und bleibt klar, warum die EU eines der wichtigsten politischen Instrumente der Gegenwart ist. Man muss nicht Anhänger der These sein, dass ein einiges Europa vor allem und am besten allein für Außenpolitik und ein bisschen auch noch für zollfreie Wirtschaft taugt, um diese Haltung der EU zu loben. In der Haltung zur Türkei aber liegt der Segen einer gemeinsamen Organisation der Europäer unmittelbar auf der Hand. Kein EU-Land allein wäre ausreichend, um dem türkischen Präsidenten insoweit zu imponieren, dass er sich korrigiert - alle zusammen sind es schon. Die Formulierung einer solchen Grenze für die gedeihliche Entwicklung der Beziehungen von EU und Türkei ist deshalb richtig. Sie ist de facto eine "rote Linie" für Erdogan. Überschreitet er sie, ist für ihn, für Europa und für den Rest der Welt offenbar, dass das Land an der Grenze zu Asien nicht länger als "Südost-Flanke" Europas gesehen werden kann. Mehr noch: Über kurz oder lang würde sich damit auch die Frage stellen, ob die Türkei Mitglied der NATO bleiben kann. Man darf sicher sein, dass Erdogan diese Sprache versteht. Man darf darüber hinaus sicher sein, dass er darauf eine Antwort geben wird. Welche dies sein wird, ist allerdings nicht mehr sicher, seit der türkische Präsident sein Land aus der laizitischen Tradition des Staatsgründers Atatürk zu lösen begonnen hat. Man muss damit rechnen, dass am Ende dieses Plans eine islamische Republik Türkei stehen kann, die ihre Zukunft nicht in Europa sieht, das auf der Aufklärung und damit der Trennung von Staat und Religion basiert. Die Haltung der Europäer hat diese rote Linie gezogen - auch unter Führung der deutschen Regierung und von Kanzlerin Merkel, die die Gelegenheit nutzt, einen Teil ihrer Fehler im Umgang mit Erdogan zu korrigieren. Merkel hat dabei - anders als der US-Präsident Obama in der Frage des Gas-Einsatzes im Syrienkrieg - den Fehler vermieden, selbst von einer roten Linie zu sprechen. Ein solches Ultimatum legt die Entscheidung über eigenes Handeln in die Hand des Gegenübers. Das ist hier nicht der Fall. Europa mit der Bundesregierung an der Spitze hat im Umgang mit der Türkei alle Fäden in der Hand. Das ist eine gute rote Linie.
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