Neue Westfälische (Bielefeld): Lebensmittelausgabestellen an der Belastungsgrenze Traurige Entwicklung Stefan Boes
Bielefeld (ots)
Dass ein wachsender Teil unserer Gesellschaft Tafeln aufsuchen muss, weil viele sich teure Lebensmittel nicht mehr leisten können, ist eine Entwicklung, die nach dem starken Migrationsschub der vergangenen Jahre zu erwarten war. Doch das ist nicht der einzige Grund für den Andrang. Zwar lässt sich an den Ausgabestellen gut ablesen, dass viele Menschen, die im Zuge der Fluchtmigration nach Deutschland gekommen sind, (noch) chancenlos auf dem deutschen Arbeitsmarkt sind und folglich Gebrauch von den Einrichtungen machen. Doch auch Studenten, Geringverdiener und Senioren, deren Rente nicht ausreicht, sind zunehmend auf die günstigen Lebensmittel und Mittagstische angewiesen, die sie bei den Lebensmittelrettern der Tafeln kostenlos oder für einen kleinen Preis erhalten. Man muss die Ausgabestellen dafür loben. Nur dank des Einsatzes von Ehrenamtlichen können bedürftige Menschen von der Tafel profitieren und werden riesige Mengen Lebensmittel vor der Tonne bewahrt. Auch wenn weite Teile der Gesellschaft einen großen Bogen um diese Orte machen: Die Tafeln erfüllen eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, entschärfen großen sozialen Zündstoff. Die Tafeln und Tische geben Menschen einen sozialen Raum, eine Begegnungsstätte, Struktur, manchmal Arbeit. Hier sind sie für einen Moment alle gleich und nicht die Menschen zweiter Klasse, zu denen unsere Gesellschaft sie macht. Und dies ist der entscheidende Punkt. So positiv die Arbeit der Ausgabestellen ist: Eigentlich sollte es sie gar nicht geben. Die Tafeln werfen ein Schlaglicht auf die Missstände unseres Sozialstaates. In den vergangenen Jahren hat eine wachsende Gruppe von Menschen den Anschluss an den Mainstream unserer Gesellschaft verloren. Diese Gesellschaft akzeptiert, dass sich am unteren Ende eine Gruppe von Ausgeschlossenen festgesetzt hat, die nicht nur auf den Bio-Wirsing aus dem Supermarkt verzichten muss, sondern auch auf die Ressourcen und Lebenschancen, die in diesem Land zählen. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Menschen, die nichts produzieren, nichts konsumieren, die wenig Macht, Bildung, Geld und Prestige haben, als ungleichwertige, gar als überflüssige Menschen betrachtet werden, als Belastung für die Sozialkassen. Das ist eine traurige Entwicklung für eine Gesellschaft, deren soziale Spaltung nicht nur droht, sondern längst Realität ist. Die Politik bleibt Antworten darauf schuldig, wie sie die Abgehängten zurück in die Gesellschaft holen und ihnen ein Leben in Würde ermöglichen will. Dazu muss sie endlich Armut bekämpfen statt verwalten.
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