Neue Westfälische (Bielefeld): NSU-Prozess Aus der Schuld lernen Dieter Wonka, Berlin
Bielefeld (ots)
Im Lauf der mühsamen Aufarbeitung des DDR-Unrechts hat Bärbel Bohley enttäuscht festgestellt: "Wir haben Gerechtigkeit erwartet und den Rechtsstaat bekommen." Vergeltung ist keine Sache des Rechts. Die Beurteilung der persönlich nachweisbaren Schuld in einem ordentlichen Verfahren ist für Opfer und Angehörige oft schmerzhaft. Viele Fragen bleiben offen. Es ist nicht leicht, den Rechtsstaat in jeder Phase zu ertragen. Der NSU-Prozess beweist das auch nach Abschluss der Beweisaufnahme. Sieben Verhandlungstage soll plädiert werden über das, was 815 Zeugen, 42 Sachverständige und 33 Befangenheitsanträge an Einblick brachten. Es wird schwer fallen, das Urteil gerecht zu finden. Das erlebte Staatsversagen stand nicht zur Verhandlung an. Über eine rassistische Mordserie wird auf reiner Indizienbasis nach Recht und Gesetz zu urteilen sein. Beate Zschäpe als überlebende Mittäterin bildet bis zum Schluss das dunkle Kraftfeld. Für die Rolle einer willfährigen Marionette taugt sie nicht. Egal, wie akribisch Richter Manfred Götzl den Prozess auch führte, die Rechte der Angeklagten wurden in jedem Fall gewahrt. Das NSU-Ziel war die Vernichtung menschlichen Lebens aus rassistischem Wahn. Der Rechtsstaat antwortet mit dem Gesetz. Den wenigen Angeklagten ergeht es in jedem Fall besser als den Angehörigen der Opfer. Ihnen wurde zu lange die Würde, die Ehre und die Anteilnahme verweigert. Durch eine beispiellose Leichtfertigkeit der Politik, der Behörden und vieler Medien wurden sie zu Tätern gestempelt. Viele behandelte man nicht einmal nach den Taten einfach nur wie normale Menschen. Die Liste der noch immer offenen Fragen ist schon jetzt länger als die der Anklagepunkte. Eine Verschwörung großen Stils gab es wohl nicht, ein braunes, dunkles, zum Teil bis heute verborgen gebliebenes Machtwerk schon. Die Aktenvernichtung in Verfassungsschutzämtern bleibt fragwürdig. Unverständlich ist, dass vier Dutzend eingesetzte V-Leute nichts mitbekommen haben. Unentschuldbar ist, dass rundherum die reale Bedrohung durch den Rechtsterrorismus ignoriert wurde. Dieser Prozess, teuer, langwierig, bürokratisch und mühsam, konnte und sollte der Gesellschaft nichts an Aufarbeitung abnehmen. Es ging um Rechtsprechung. Gesicht zu zeigen, genau hinzusehen, dem Denken in Begriffen wie Volksgemeinschaft und Überfremdung zu widerstehen - das ist und bleibt eine nachhaltige Aufgabe für alle. Man kann aus früherer Schuld lernen.
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