Neue Westfälische (Bielefeld): Ungarn und die Slowakei müssen Flüchtlinge aufnehmen Der zahnlose Löwe Martin Fröhlich
Bielefeld (ots)
Gut gebrüllt Löwe, könnte man dem Europäischen Gerichtshof zurufen. Sein Urteil zur Flüchtlingsverteilung ist eine klare Botschaft an Ungarn und die Slowakei. Und nicht nur an die, sondern an alle, die glauben, dass EU-Recht und EU-Vereinbarungen, sagen wir mal, nicht so wichtig sind. Brüssel lässt sich nicht alles gefallen. Zumindest scheint es so. Doch bei der Frage nach Konsequenzen für Aufnahmeverweigerer brüllt der Löwe nicht mehr so laut. Bei der EU wissen sie genau, wie zahnlos der Löwe im Ernstfall wird. Fügen sich Ungarn und die Slowakei nicht, drohen ihnen EU-Vertragsverletzungsverfahren. Was gewaltig klingt, hat höchstens finanzielle Strafen zur Folge. Und bei denen ist laut EU-Vorschriften zu beachten, dass das zu bestrafende Land in der Lage ist, sie zu bezahlen. Allzu drakonisch fallen die Strafen nicht aus. So berechtigt das Urteil des EuGH schon deshalb ist, weil es den solidarischen Charakter der Staatengemeinschaft einfordert - es zeigt das wachsende, grundsätzliche Problem der Union. Als Melkkuh wird sie gern genommen. Gilt es aber, unpopuläre Vorgaben umzusetzen, wird Brüssel am liebsten ignoriert. Um das zu erkennen, brauchte es nicht erst den Streit um Flüchtlinge. Spätestens der ignorante Umgang einiger Länder mit den Vorschriften zur Verschuldung hat diese Wunde aufgerissen. Zuletzt war die polnische Justizreform Beispiel für den Zwist zwischen Regierungen, die nach nationaler Souveränität schreien, und der EU, die auf Zusammenhalt pocht. In letzter Konsequenz ist auch der Brexit hier einzuordnen. Die EU-Feindlichkeit vieler Briten geht auf das Gefühl zurück, dass sie die Kontrolle über ihr Land verloren haben. So weit die ernüchternde Bestandsaufnahme. Und nun? Drei Schritte sind Brüssel zu empfehlen. Erstens müssen Vertragsverletzungsverfahren, so symbolisch sie sein mögen, durchgezogen werden. Sonst gäbe man sich der Lächerlichkeit preis. Zweitens muss die EU darüber nachdenken, was sie sein will: ein loser Wirtschaftsverbund von Staaten, von denen einige eine gemeinsame Währung haben, oder doch eine echte global wahrnehmbare politische Einheit. Drittens müssten Konsequenzen aus dem Selbstverständnis gezogen werden. Im schlimmsten Fall wäre - nach all dem Jubel über die Erweiterung der EU - eine Verkleinerung auf jene Staaten zu diskutieren, die den europäischen Gedanken ernst nehmen.
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