Neue Westfälische (Bielefeld): Verfassungsschutz im Falle Anis Amri Totalversagen Carsten Heil
Bielefeld (ots)
Wenn das kein Zufall ist: Bundesinnenminister Thomas de Maizière erklärt in einem Interview stolz, dass die deutschen Sicherheitsbehörden in diesem Jahr drei Terroranschläge verhindert haben. Das ist gut und der Fahndungsdruck auf die Terrorbanden und -einzeltäter kann gar nicht groß genug sein. Im Falle Anis Amri war der Fahndungsdruck eigentlich groß genug. Genützt hat es leider nichts, wie wir zeitgleich mit dem Ministerinterview erfahren. Auf dem Berliner Weihnachtsmarkt starben vor einem Jahr elf Besucher und 55 wurden verletzt, einige schwer. Wenn der Bericht der Welt am Sonntag stimmt - und es spricht angesichts der Recherchetiefe und des Detailreichtums viel dafür, dass er der Wahrheit entspricht oder ihr zumindest sehr nahe kommt - ist das ein Skandal. Einer mehr in der langen Kette von Versagen und Versäumnissen der Sicherheitskräfte, die immer ach so viel auf sich halten. Seit mehr als einem Jahr sei bekannt gewesen, dass Amri nicht nur ein kleinkrimineller Drogenhändler war (was schon zur Ausweisung hätte reichen müssen), sondern Kontakt zum IS hatte. Eine eigene Agentin sei auf ihn angesetzt gewesen. Er hatte wohl Kontakt zum führenden Hassprediger und Salafisten Abu Walaa, dem gerade der Prozess gemacht wird. Und niemand handelte? Das ist ein unverzeihliches Versagen. Die Kommunikation der Behörden untereinander funktionierte nicht. Man verlor Amri aus den Augen. Polizisten fälschten Protokolle, um das Versagen der Ermittler zu vertuschen. Da fällt es schon gar nicht mehr ins Gewicht, dass die Hinterbliebenen der Todesopfer statt finanzieller Unterstützung die Rechnungen für die Obduktion ihrer Liebsten zugestellt bekamen. Zusätzlich erschreckend: Trotz all dieser Skandale musste niemand die Konsequenzen ziehen. Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen gefällt sich derweil in Diskussionsrunden statt Verantwortung zu übernehmen. Wer die Pannen und Unfähigkeiten rund um die NSU-Vorfälle noch nicht vergessen hat, wer sich noch erinnern kann, dass das erste NPD-Verbotsverfahren daran gescheitert ist, dass die V-Leute der Verfassungsschützer übler waren als die Neo-Nazis selber, kann nur zu einem Schluss kommen: Der Verfassungsschutz ist überfordert, falsch aufgestellt und das System bedarf dringend einer radikalen Erneuerung. Das muss an der Spitze bei Herrn Maaßen anfangen, er gehört abgelöst. Und auch der zuständige Bundesinnenminister de Maizière sollte die Konsequenzen ziehen. Jedenfalls reichen Ablenkungsmanöver wie sein Interview über die unzweifelhaften Erfolge der Behörde bei der Terrorabwehr nicht, um das grundsätzliche Desaster zu vertuschen.
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