Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Deutschland steht vor einer Organspendereform Pflicht zur Entscheidung muss es geben Carolin Nieder-Entgelmeier
Bielefeld (ots)
Eine Mehrheit von 84 Prozent der Deutschen steht einer Organspende positiv gegenüber. Trotzdem gibt es keine durschlagenden Verbesserungen bei der Entwicklung der Spenderzahlen. Denn trotz großer Zustimmung haben nur 36 Prozent auch einen Spenderausweis. Die Kluft zwischen abstrakter und konkreter Spendebereitschaft ist riesig. Grund dafür ist die aktuell geltende Entscheidungslösung, die dafür sorgt, dass viele die Frage, ob sie nach dem Tod Organe spenden, vor sich herschieben. Die Entscheidungslösung sieht vor, dass Organe nach dem Tod nur entnommen werden, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten zugestimmt hat. Liegt keine Entscheidung vor, werden die Angehörigen gefragt. Zudem werden alle Versicherten von ihren Krankenkassen alle zwei Jahre schriftlich auf das Thema angesprochen. Ein kostspieliger Aufwand, der weder dafür sorgt, dass die Zahl der Spender steigt, noch, dass die Entscheidungen dokumentiert werden. Es ist an der Zeit, dass das Organspendesystem in Deutschland als solidarische Gemeinschaftsaufgabe durch die Einführung der Widerspruchslösung auch gesetzlich eindeutig abgebildet wird. Das würde bedeuten, dass - wie in den meisten europäischen Ländern - hirntote Patienten zu Organspendern werden, wenn sie zu Lebzeiten nicht widersprechen. Zum Zwang wird die Spende dadurch nicht, auch wenn die Kritiker nicht müde werden, das zu behaupten. Sie schüren Ängste, verbreiten Unwahrheiten und versuchen, mit Ausdrücken wie "Ersatzteillager" die dringend erforderliche und für die 10.400 Menschen auf der Warteliste lebenswichtige Reform mit Polemik zu verhindern. Der Vorstoß der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie, Menschen bei der Vergabe von Spenderorganen zu bevorzugen, die auch zu einer Spende bereit sind, ist deshalb genau richtig. Wir müssen offen darüber sprechen, dass es dem Prinzip der Solidarität schadet, wenn sich die meisten darauf verlassen, dass andere das tun, was sie selbst für richtig halten. Im Kampf ums Überleben wollen wir alle bestmöglich versorgt werden, doch die wenigsten tun auch etwas dafür, wie das Beispiel Blutspende zeigt. Obwohl 33 Prozent der Deutschen spenden könnten, machen das nur drei Prozent. Eine Pflicht zur Organspende darf es nicht geben. Eine Pflicht, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, hingegen schon, damit endlich mehr Leben gerettet werden können. Eine Debatte über eine Belohnung für die Menschen, die nicht nur haben, sondern auch geben wollen, ist überfällig.
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