Neue Westfälische (Bielefeld): Grünen-Parteitag in Bielefeld Zum Regieren verdammt Florian Pfitzner
Bielefeld (ots)
Irgendwann im vorvergangenen Sommer, die Unionsparteien waren gerade in Asylfragen zerstritten und Hans-Georg Maaßen noch Präsident des Verfassungsschutzes, hat Robert Habeck vor einer gefährlichen Zuspitzung in den Parlamenten gewarnt. Der Grünen-Chef rief auf einem Parteitag des NRW-Landesverbandes zu einer Gegenbewegung auf. Es werde nun auf ihre Entschlossenheit ankommen, sagte er, "auf unsere Geschlossenheit, auf unsere Kampfbereitschaft". Auf ihrer Bundesdelegiertenkonferenz in Bielefeld hat er diese Melodie verfeinert und eine Grundatmosphäre herbeigeführt, die über Phrasen eines Jubelparteitags hinausgehen. In der ersten halben Stunde seiner Parteitagseröffnung, die unter dem weitgefassten Tagesordnungspunkt "Politische Rede" stand, zeigte Habeck, was er sich unter Entschlossenheit vorstellt. Einige hatten sich zuvor gewundert, dass konkrete Fragen zum rechten Lager weitgehend ausgespart würden. In der Tat findet man im Antragsbuch nur eine Vorlage unter "Verschiedenes", in der die AfD "der parlamentarische Arm eines rechtsextremen und rechtsterroristischen Netzwerks" genannt wird und sie damit die "für ein Parteiverbot erforderliche Relevanz" habe. Man ist pragmatisch geworden bei den Grünen. Klima, Wirtschaft, Wohnungen - der Parteitag ist eng getaktet, da bleibt kaum Zeit für Selbstvergewisserung. Angesichts der Verteidigung der liberalen Demokratie gelten die Grünen als der klare Gegenpol zu einer sich schwer radikalisierenden AfD. Wenn es um die offene Gesellschaft geht, genießt keine andere Partei so hohe Glaubwürdigkeit. Während gesellschaftliche Errungenschaften angegriffen werden, öffnet sich die Bündnispartei. Völlig richtig lag Habeck mit seiner Mahnung, die Grünen sollten sich in Toleranz üben. Die Grenzen: "Wenn Lüge Wahrheit wird und Wahrheit Lüge." Personal, Profil, Programmatik - vieles passt derzeit bei den Grünen. Ihre Klimaforderungen galten lange Zeit als radikal, inzwischen hat sich die Stimmungslage angeglichen. Nun steht die Partei vor der großen Aufgabe, ihre Politik in einer tauglichen Erzählung zu verpacken. Man ist gewissermaßen zum Regieren verdammt - es wird zwangsläufig Kompromisse geben. Schafft es die Partei, diese Kompromisse zu erklären, kann sich der Vertrauensvorschuss in nachhaltige Zustimmung wandeln.
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