Verheerende Bilanz
Leitartikel von Friedrich Roeingh zum Umgang mit der Flutkatastrophe
Mainz (ots)
Verheerende Starkregen sind kein neues Phänomen. Vor 24 Jahren ließ ein Dauergewitter den Schwarzwaldbach Oos zu einem reißenden Strom anschwellen, der in Baden-Baden Brücken wegriss und eine Spur der Verwüstung hinterließ. Damals gab es zum Glück keine Toten - in den Tiefgaragen der Grandhotels wurden nur die Luxuskarossen ein Opfer der Wasser- und Schlammmassen. Seither kam es in Deutschland zu mindestens einem Dutzend weiterer blitzartiger Flutereignisse (2014 auch beim Rambach in Wiesbaden), die sich grundlegend von den Hochwassern mit mehrtägiger Ansage an Rhein und Mosel unterscheiden.
Die Flutkatastrophe vom 14. Juli 2021, der in Deutschland 186 Menschen zum Opfer fielen, kam also nicht aus heiterem Himmel. Sie traf aber auf zwei Bundesländer, die einen angemessenen Katastrophenschutz nicht im Ansatz gewährleisten konnten. Und sie traf auf Entscheidungsträger, die kläglich versagten. Auf einen wie den ehemaligen Ahr-Landrat Jürgen Pföhler, gegen den wegen fahrlässiger Tötung ermittelt wird, der offenbar auch ganz persönlich Schuld auf sich geladen hat. Auf zwei ehemalige Umweltministerinnen, die wegen ihres instinktlosen Umgangs mit der Katastrophe zurücktreten mussten. Aber auch auf zwei Innenminister, die bis heute die Übernahme politischer Verantwortung verweigern - und damit anscheinend durchkommen. Herbert Reul (CDU) in Nordrhein-Westfalen, der in der CDU auch nach den Landtagswahlen als schwarzes Aushängeschild für unverzichtbar gilt. Und Roger Lewentz in Rheinland-Pfalz, der als Landesvorsitzender der SPD nach der Machtarithmetik der Politik sakrosankt ist.
So markiert die Flutkatastrophe auch einen Tiefpunkt der politischen Kulturpflege. Sie steht in scharfem Kontrast zu der Kultur der Mitmenschlichkeit, die Tausende von freiwilligen Helfern in die Katastrophengebiete trugen und die sich in einem Rekordspendenaufkommen ausdrückte. Dazu gehörte auch der schnelle Beschluss von Bund und Ländern, den Wiederaufbau der verwüsteten Regionen mit 30 Milliarden Euro abzusichern. Ein Jahr nach der Flutkatastrophe aber bewegen die Menschen an der Ahr und in den Katastrophengebieten an Erft und Wupper neue Nöte: Politik und Staatsapparat erweisen sich als unfähig, die Versprechen von der schnellen, unbürokratischen Hilfe einzulösen. Komplexe Antragsverfahren, bürokratische Hemmnisse, quälend lange Bearbeitungszeiten, mangelnder Mut zu großzügigen Entscheidungen. Viel zu spät wurden Menschen geschickt, die die überalterte Bevölkerung in den Katastrophengebieten unterstützen. Für gerade mal ein Viertel der zerstörten Wohngebäude liegen bisher Anträge auf Entschädigung vor. Und selbst die Kommunalpolitiker treiben bürokratische Hemmnisse beim Wiederaufbau der Infrastruktur in die Verzweiflung. Solches Versagen ist zugleich eine Einladung an politische Rattenfänger.
Zweifeln muss man auch an den Schlüssen, die Bund und Länder aus der Katastrophe ziehen. Nicht nur im Ahrtal, wo seit einem Jahr auch die Angst wohnt. Beim nächsten Jahrhundertregen kann das Ahrtal schließlich überall sein. Wenn schon in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen nicht erkennbar ist, dass die Besiedlung in den Fluss- und Bachauen begrenzt und die Regenrückhaltung in den Gebirgshängen mit aller Konsequenz vorangetrieben wird, wie soll es dann erst in den anderen Bundesländern aussehen? Ein Jahr nach der Katastrophe kann man nur eine bittere Zwischenbilanz ziehen. Der Hochwasser- und Katastrophenschutz darf nicht schon wieder von der Tagesordnung verschwinden. Das sind wir nicht nur den Opfern des 14. Juli 2021 schuldig.
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