Trügerisch
Kommentar von Jens Kleindienst zur Steuerschätzung
Mainz (ots)
Ist das nun eine gute oder eine schlechte Nachricht? Die Prognose des Schätzerkreises, dass die öffentliche Hand in den nächsten Jahren deutlich mehr Steuern einnehmen wird, erzeugt zumindest ein Unwohlsein. Urheberin des unerwarteten Geldsegens ist nämlich die Inflation, die sich nach Jahren mit annähernder Geldwertstabilität eingenistet hat und ihre zerstörerische Wirkung zu entfalten beginnt: Sie knabbert mit großen Zähnen an den Realeinkommen der Menschen. Sie nötigt Unternehmen, immer weiter an der Preisschraube zu drehen. Sie zwingt Gewerkschaften, kräftige Lohnzuschläge zu fordern und notfalls zu erstreiken. So dreht sich die Spirale weiter, und es wird immer schwieriger, sie zu stoppen. Die Europäische Zentralbank versucht das gerade mit kräftigen Zinserhöhungen, was jedoch der Wirtschaft nach dem Energiepreisschock endgültig den Saft abdrehen könnte. Uns steht eine Rezession bei gleichzeitig stark steigenden Preisen ins Haus - eine schlimmere Kombination gibt es kaum. Was bedeutet das alles für den Bundesfinanzminister und seine Steuereinnahmen? Vielleicht kann Christian Lindner 2023 wirklich die Schuldenbremse einhalten. Doch wäre damit wenig gewonnen. Die entscheidende Frage bleibt, ob es der Regierung gelingt, die konjunkturelle Talfahrt rasch abzubremsen. Sonst dürften sich die vorausgesagten Mehreinnahmen als Luftbuchung erweisen. Die Gefahr, dass dem Wirtschaftseinbruch - trotz Inflation - auch ein Einbruch bei den Steuern folgt, ist real. Zugleich wird der Staat an allen möglichen Stellen aushelfen müssen, sei es bei den Sozialkassen, sei es bei Ländern und Kommunen, die ja selbst unter galoppierenden Energiepreisen leiden. Für zusätzliche Steuersenkungsprogramme wäre es jedenfalls die falsche Zeit.
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