Der Putsch
Leitartikel von Andreas Härtel zu Russland
Mainz (ots)
Der Putsch in Russland ist abgeblasen. Schneller, als man es erwarten konnte, hat Milizenführer Prigoschin klein beigegeben. Dabei sah es am Samstag lange ganz anders aus. Mit der Ankündigung des Tschetschenen-Kämpfers Kadyrow, aufseiten Putins in den Machtkampf einzugreifen, waren die Zutaten für eine blutige Eskalation in Russland bis hin zu einem Bürgerkrieg da. Mit der stark bewaffneten, für ihre Brutalität berüchtigten Wagner-Miliz von Anführer Prigoschin, mit der russischen Armee und mit den Truppen des ruchlosen, radikalen Kadyrow drohten gleich drei militärische Blöcke aufeinanderzutreffen. Die weitere Entwicklung war vor allem davon abhängig, wie sich die russische Armee verhalten würde. Nun kann als sicher gelten: Es ist Prigoschin nicht gelungen, Teile des russischen Machtapparats und des Militärs hinter sich zu bringen. Die Straffreiheit für ihn und seine Soldaten mag deshalb das Beste gewesen sein, was für ihn und seine Wagner-Miliz noch zu holen war. So schnell der Spuk jetzt auch vorbei war: Mit dem Marsch der Wagner-Miliz auf Moskau ist ein Albtraum des Kriegstreibers im Kreml wahr geworden. Putin war angetreten, die Ukraine zu überrollen. Nun ist es nicht mehr nur so, dass sich die Ukraine tapfer wehrt und dass es immer wieder Angriffe auf russische Militäranlagen weit von der Front entfernt gibt. Vielmehr hat sich auch die Gewalt plötzlich im Inneren des Landes gegen ihn und sein System gewandt. Sein Apparat hat die Machtprobe zwar bestanden, aber es brauchte dazu offensichtlich die Hilfe des belarussischen Verbündeten Lukaschenko, ansonsten wäre die Lage vermutlich eskaliert. Und der leichte Vormarsch der Wagner-Truppen in Rostow und Woronesch hat Putins Truppen blamiert. Mit der Kontrolle über das Befehlszentrum in Rostow war Prigoschin zudem allem Anschein nach zwischenzeitlich zum eigentlichen Kommandeur der russischen Truppen in der Ukraine aufgestiegen - was für eine Blamage. Dass man den Milizenführer mit Applaus aus Rostow verabschiedete, dürfte dem Mächtigen im Kreml auch noch eine Weile in den Ohren klingen. Was folgt konkret aus dem Ganzen für Russland, Putin und den russischen Angriffskrieg in der Ukraine? Fest steht: An Putin wird die Revolte nicht spurlos vorübergehen. Sein Image des starken Mannes hat weiter gelitten, und die Bürger in Russland werden sich fragen, was wohl als nächstes kommen mag. Der Krieg ist endgültig im eigenen Land angekommen. Nicht von ungefähr haben viele Russen am Samstag versucht, aus dem Land zu fliehen. Es herrschen Unordnung und Verunsicherung. Wie Putin darauf reagiert, werden die kommenden Tage zeigen. Eine Putin-Dämmerung mit Rissen im Machtgefüge ist ebenso weiterhin möglich wie eine umso härtere Gangart des Kremls im eigenen Land und in der Ukraine. In Kiew wiederum wird man versuchen, den Machtkampf im Land des Aggressors auszunutzen - und sich umso mehr in die Schlacht um die russisch besetzten Gebiete werfen. So einiges spricht dafür, dass die Ukraine mit ihrer Offensive nun mehr Erfolg haben könnte als bisher. Erstens dürfte sie auf stark verunsicherte russische Soldaten treffen. Zweitens wird dem russischen Angreifer an der Front die Wagner-Miliz fehlen. Das Wochenende wird, so schnell der Machtkampf auch beendet wurde, tiefe Spuren hinterlassen.
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