Ein Todesurteil
Kommentar von Andreas Härtel zu Alexej Nawalny
Mainz (ots)
Warum nur ist er zurückgekehrt nach Russland? Man weiß nicht, ob sich Alexej Nawalny, 47, verheiratet, Vater zweier Kinder, politischer Gefangener und Folteropfer, das auch schon gefragt hat. Nach der Vergiftung und der Genesung in Berlin hätte der prominenteste Oppositionelle aus Wladimir Putins Reich in Deutschland bleiben können. Es kam, wie er es selbst geahnt haben dürfte: Seit der Rückkehr nach Moskau hat er keinen Moment der Freiheit mehr erlebt. Nun folgt Schauprozess auf Schauprozess, mit dem vorläufigen Höhepunkt am Freitag. 19 Jahre! Straflager! Das kommt einem Todesurteil gleich. Hätte Nawalny aus dem Ausland Einfluss auf die Geschicke in seiner Heimat ausüben können? Wohl kaum. Aber hat er jetzt wirklich Einfluss auf das Denken seiner Landsleute? Schwer zu sagen, es ist unklar, wen er erreicht, über die sozialen Netzwerke und über Einlassungen vor Gericht. Die Russen, eingeschüchtert und für dumm verkauft, bleiben stumm. Dabei hat Nawalny etwas zu sagen, man müsste seine Sätze Putins beflissenen Helfern immer wieder um die Ohren hauen. Etwa diesen: "Es kommt Ihnen vielleicht vor, als sei ich verrückt und Sie alle normal. Aber meiner Meinung nach sind Sie die Verrückten." Das hat er seinen Anklägern im Juli entgegengeschleudert. Es gibt wohl kein Zitat, das besser erklärt, warum sich dieser Mann auf all das einlässt. Sollte er die Qualen überstehen, hat er das Zeug zum großen Freiheitshelden. Leider aber gehört noch mehr dazu. Erstens genügend Menschen, die ihn trotz allem erhören. Zweitens ein Ende des Putinismus. Denn ohne Systemwechsel in Moskau kommt Nawalny gewiss nicht mehr frei. Dabei ist es Putin, dieser Vernichter von Tausenden Menschenleben in seinem sinnlosen Krieg gegen die Ukraine, dem der Prozess gemacht gehört. Und zwar ordentlich.
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