Fliehkräfte
Kommentar von Klaus Thomas Heck zu Berg-Karabach
Mainz (ots)
Wladimir Putins Einfluss auf die Peripherie seines Riesenreichs schwindet. So musste der russische Präsident in dieser Woche tatenlos mitansehen, wie Aserbaidschan die Region Berg-Karabach von den Armeniern zurückerobert. Bakus schneller Feldzug ist durchaus legitim: Berg-Karabach war völkerrechtlich gesehen trotz armenischer Besatzung stets aserbaidschanisches Hoheitsgebiet. Man mag diese Grenzziehung für unsinnig halten, da Berg-Karabach mehrheitlich von Armeniern besiedelt ist. Doch dies ist ein Erbe der von Putin so gerne verklärten Sowjetzeit, in der man solche Grenzen teils willkürlich zog und die daraus entstehenden Konflikte oft nur mühsam mit Waffengewalt unterdrückte.
Der Blick in die Geschichte lässt nun Schlimmes befürchten: Zwischen Armenien und Aserbaidschan sind Grenzstreitigkeiten selten unblutig geblieben. Und Armenien befindet sich - eingekesselt zwischen seinen Erzfeinden Aserbaidschan und Türkei - in einer Zwickmühle. Mit Hilfe von Nato oder EU ist kaum zu rechnen. Zumal die Türkei selbst Nato-Mitglied ist. Blieben noch die alte armenische Schutzmacht Russland und ihre postsowjetische Militärallianz OVKS. Doch die haben bereits mit einer Art Schulterzucken reagiert. Klärt Eure Probleme alleine. Zu sehr sind russische Truppen gerade im selbst entfachten Ukraine-Krieg gebunden. Und so bleiben die Befürchtungen der christlich geprägten Armenier allgegenwärtig, dass sie über kurz oder lang zwischen den muslimischen Nachbarn Baku und Ankara zerrieben werden - und dass es in Berg-Karabach zu Vertreibungen kommt.
Ein neuer Genozid? Das könnte auch eine Frage des Geldes sein. Die EU hat den aserbaidschanischen Autokraten Ilham Alijev erst kürzlich im Zuge des Ukraine-Kriegs als Geschäftspartner entdeckt. Will sie von russischem Öl und Gas unabhängig bleiben, könnte Aserbaidschan als Rohstofflieferant in die Bresche springen. Das klingt ein bisschen so, als wolle man den Teufel mit dem Beelzebub austreiben - könnte den bedrohten Armeniern aber zupass kommen. Denn will Alijev das Milliardengeschäft mit den Europäern nicht gefährden, sollte er Gräuel an der Zivilbevölkerung in Berg-Karabach tunlichst vermeiden. Der Fall Russland dürfte ihm demonstriert haben, wie schnell die EU missliebige Energielieferanten notfalls wieder aussortiert.
Berg-Karabach zeigt zudem: Ein Bündnis mit Moskau ist im Ernstfall wenig wert. Putin hat die Fliehkräfte an den Rändern der Russischen Föderation kaum noch unter Kontrolle. Mit dem möglichen Ende des tyrannischen Tschetschenenführers Ramsan Kadyrow bahnt sich bereits die nächste Nagelprobe für den Kreml an. "Putins Bluthund" soll schwer erkrankt in einem Moskauer Krankenhaus liegen. Damit könnte es für den Kremlchef auch in Tschetschenien brenzlig werden.
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