Augenarztpraxen: Investoren schaffen monopolartige Strukturen
Hamburg (ots)
Internationale Finanzinvestorinnen und -investoren haben in den vergangenen Jahren Hunderte Augenarztpraxen in Deutschland gekauft. In mehreren Städten und Landkreisen sind nach NDR Recherchen bereits monopolartige Strukturen entstanden. Dort arbeitet die Mehrheit der ambulanten Augenärztinnen und -ärzte in einer der investorengeführten Ketten.
Damit ist eine Situation entstanden, vor der der Bundesrat Ende 2018 explizit gewarnt hatte. Er schlug eine Gesetzesänderung vor, um zu verhindern, dass Arztketten in einzelnen Regionen eine "monopolartige Stellung erlangen" könnten. "In immer mehr Bereichen der ambulanten ärztlichen Versorgung bilden sich konzernartige Strukturen aus, oft in der Hand renditeorientierter Unternehmen", hieß es damals in der Begründung. Der Bundesrat sah die Gefahr, dass sich die Patientenversorgung verschlechtere. Es könne etwa "zu einer Einengung der angebotenen Versorgung auf bestimmte, besonders lukrative Leistungen" kommen. Die damalige Bundesregierung nahm die vorgeschlagene Gesetzesänderung jedoch nicht an. Der NDR hat das Bundesgesundheitsministerium gefragt, warum dies nicht geschehen ist, aber keine Antwort darauf erhalten.
Die NDR Recherchen für das Magazin "Panorama 3" zeigen nun, dass drei große, von Finanzinvestoren geführte Augenarztketten mittlerweile eine monopolartige Stellung in mehreren Städten und Landkreisen erreicht haben. So arbeiten beispielsweise in Kiel inzwischen mehr als die Hälfte aller ambulant tätigen Augenärztinnen und -ärzte für das Unternehmen Sanoptis. Es hat seit 2019 mehrere regionale Augenarztketten in Schleswig-Holstein übernommen. Ähnlich sieht es etwa in und um Augsburg in Bayern aus. Dort gehören etwa 15 Praxen und Kliniken zum Sanoptis-Konzern. Das Unternehmen wurde erst 2018 von einer Londoner Private-Equity-Gesellschaft gegründet und ist mittlerweile anscheinend die größte Augenarztkette in Deutschland. Genaue Daten sind aber nicht bekannt. Auf Fragen von "Panorama 3" zu verschiedenen Zahlen - etwa zu gekauften Praxen, durchgeführten Operationen und zum Umsatz - teilte Sanoptis mit, es beantworte "derartige Anfragen grundsätzlich nicht ".
Weitere Beispiele für offensichtlich marktbeherrschende Stellungen sind etwa in Nordbayern zu finden. Dort - in und um Nürnberg und Fürth - beschäftigt die Ober Scharrer Gruppe (OSG) einen Großteil der Augenärztinnen und -ärzte. Auch in Osnabrück scheint dies so zu sein. Insgesamt hat die OSG nach eigenen Angaben 125 Standorte in Deutschland und beschäftigt etwa 300 Augenärztinnen und -ärzte. Auf die Frage von "Panorama 3" nach möglichen regionalen Monopolen verweist die OSG auf die Gesamtzahl aller in Deutschland in Praxen und Krankenhäusern tätigen Augenärzte. Davon seien nur knapp 3,8 Prozent in ihrer Unternehmensgruppe beschäftigt. Auf die Frage zu konkreten Landkreisen und Städten ging die OSG in ihrer Antwort nicht ein.
Die dritte große Augenarztkette, Artemis, hat ihre Zentrale in Nordhessen. Dort, im Lahn-Dill-Kreis mit mehr als 250.000 Einwohnern, arbeiten offenbar fast alle Augenärzte für die Firmengruppe. Auch in anderen Teilen Hessens gehören ihr viele Praxen und Kliniken. Artemis führt dort nach eigenen Angaben etwa die Hälfte aller Augenoperationen durch, ist aber auch durch Zukäufe in anderen Bundesländern gewachsen, etwa in Hamburg oder im Rheinland. Der Ärztliche Direktor und einer der Gründer von Artemis, Kaweh Schayan-Araghi, sagt im Interview mit "Panorama 3", seine Kette sei vor allem deshalb gewachsen, weil sie in der Region viele Praxen älterer Augenärztinnen und -ärzte übernommen habe, die ansonsten Schwierigkeiten gehabt hätten, Nachfolgerinnen bzw. Nachfolger zu finden. So trage Artemis dazu bei, die Versorgung zu sichern.
Insgesamt sind in Deutschland mehr als 500 Augenarztpraxen im Besitz von internationalen Private-Equity-Gesellschaften. Das sind etwa dreimal so viele wie vor drei Jahren. Geschätzt arbeitet mittlerweile etwa ein Fünftel aller ambulant tätigen Augenärztinnen und -ärzte in Ketten von Finanzinvestoren. Genaue Zahlen gibt es allerdings nicht, da die Firmen keine konkreten Daten veröffentlichen müssen.
Ob weitere Investoren eine Mehrheit der Arztpraxen einer Fachrichtung in bestimmten Regionen erworben haben, ist deshalb ebenfalls unklar. Weder die Bundes- noch die Landesregierungen haben dazu Daten. Das Bundesgesundheitsministerium teilte dem NDR auf Anfrage mit, es sei ihm nicht bekannt, "ob und inwieweit eine beherrschende Marktkonzentration augenärztlicher Versorgungsstrukturen" in einzelnen Bereichen vorliege und "worauf etwaige Konzentrationstendenzen zurückzuführen" seien.
Das Bundeskartellamt teilte auf Anfrage mit, dass es in den vergangenen Jahren die Zukäufe der großen Augenarztketten nicht kontrolliert habe, da offenbar jede einzelne Übernahme unterhalb von relevanten Umsatzschwellen gelegen hat. Sollte es jedoch Hinweise darauf geben, dass es zu marktbeherrschenden Stellungen einzelner Unternehmen in einigen Regionen komme und zudem Probleme drohten - wie etwa steigende Preise oder eine schlechtere Behandlungen von Patientinnen und Patienten -, könne das Amt möglicherweise eine sogenannte "Sektoruntersuchung" einleiten.
Mehr zu dem Thema in der Sendung "Panorama 3" am Dienstag, 5. April, um 21.15 Uhr im NDR Fernsehen
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