9. Handelsblatt-Jahrestagung
"Energiewirtschaft" (Berlin, 15.-17.
Januar 2001)
Berlin (ots)
Die Energiebranche hat wieder zusammengefunden: Zum 9. Mal fand in Berlin die Handelsblatt-Jahresagung zur Energiewirtschaft statt, diesmal vor rund 850 Teilnehmern. Schwerpunkt des ersten Kongresstages war die Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte. Unter der Leitung von Prof. Dr. Dieter Schmitt (Lehrstuhl für Energiewirtschaft, Essen) und Dr. Heinz-Jürgen Schürmann (Leitender Redakteur Handelsblatt) diskutierten Politiker und Vertreter der Energiebranche. Begleitet wird die Tagung von einer Fachmesse mit über 50 Ausstellern.
Dr. Werner Müller (Wirtschaftsminister), zieht für Deutschland eine positive Bilanz nach vier Jahren Liberalisierung: die Zahlen für die Wirtschaft seien posititv, die Infrastruktur im europäischen Vergleich sei hervorragend, wobei er auf die gute Netzqualität hinwies. Besonders hob Müller die 100prozentige Öffnung der Märkte für Gas und Strom vor. Der Kunde habe bereits kräftig vom Stromwettbewerb profitiert und konnte zum Teil die Stromrechung halbieren. Allen Unkenrufen zum Trotz habe sich in Deutschland das Modell des verhandelten Netzzugangs mit nachträglicher Missbrauchskontrolle bewiesen.
Im Zwischenbericht der EU-Kommission sei zu lesen, Deutschland habe im europäischen Vergleich die höchsten Netznutzungsentgelte. Eine Studie, auch von der EU-Kommission in Auftrag gegeben, kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass die deutschen Netznutzungsentgelte zu den günstigsten gehörten und als "best practice" angesehen werden. Die unterschiedliche Bewertung komme auch dadurch zustande, dass Kostenpositionen zwischen Erzeugung und Netznutzung in Europa sehr unterschiedlich aufgeteilt würden. Aber auch politisch gewollte Sonderaufgaben, wie etwa die Förderung erneuerbarer Energien, die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung würden über Aufschläge auf die Netzentgelte abgewickelt.
Müller kündigte Ergebnisse der im BMWi angesiedelten Task Force an: In Kürze wird eine Auswertung von Netznutzungsentgelten veröffentlicht, die anhand der Strukturkriterien für Netzbetreiber vorgenommen wurde, die Bestandteil der im Dezember ergänzten Verbändevereinbarung Strom (VV II plus) sind. Die Daten zeigen die Streuung von Netznutzungsentgelten innerhalb der Strukturklassen auf. Müller stellte fest: "Auch hier wird in Zukunft gelten: Wer über dem Durchschnitt liegt, hat ein Rechtfertigungsproblem. Und auch hier kann ich den Unternehmen nur empfehlen, sich frühzeitig um ihr eigenes Benchmarking zu kümmern."
Auch zum Thema Gasliberalisierung fand Müller deutliche Worte für die Vertreter der Gaswirtschaft: "Hier hoffe ich, dass die Einsicht wächst. Denn das Angebot der Politik, den deutschen Weg in Europa zu verteidigen, ist nicht wiederholbar. Mangelnde Erfolge im Gasmarkt werden auch die Stromwirtschaft treffen." Die Einrichtung einer Regulierungsbehörde für den Gasmarkt kündigte Müller für den Fall an, dass keine freiwillige Vereinbarung zwischen den Verbänden der Gasindustrie erzielt werden kann. "Wenn es nicht gelingt, eine Verbändevereinbarung (VV) zu erreichen, bleibt kein anderer Weg als eine Regulierungsbehörde zu installieren", betonte Müller auf der 9. Handelsblatt Jahrestagung Energiewirtschaft. Er sei enttäuscht über den bisherigen Verlauf der Verhandlungen. Die VV Gas müsse mindestens den Regelungen entsprechen, die für den Strommarkt getroffenen wurden. "Davon sind wir beim Gas aber noch weit entfernt", sagte der Bundeswirtschaftsminister. Die Verhandlungen über die VV werden am Mittwoch in Berlin fortgesetzt.
Michaele Hustedt (Energiepolitische Sprecherin Bündnis 90/Die Grünen) sah die Liberalisierung der Strommärkte kritisch und meinte: «Die Liberalisierung droht nach nur wenigen Jahren zu scheitern.» Der faire Netzzugang klappe immer noch nicht und Energiekonzerne behinderten noch immer die Durchleitung des Stroms ihrer Konkurrenten. Klare gesetzliche Regeln seien nötig. Durch Fusionen von Energieunternehmen werde der Wettbewerb verringert und die Preise stiegen derzeit wieder, meinte Hustedt weiter.
Schuld sei aber nicht, wie von den Energieversorgern behauptet, die von Rot-Grün veranlasste Förderung für umweltfreundlichen Strom aus erneuerbaren Energien oder Kraft-Wärme-Kopplung. Deren Kosten würden von den Versorgern zu hoch angesetzt, die Differenz steckten sie sich "unberechtigt in die Tasche", meinte Hustedt.
Kritisch sieht Volker Jung (Energiepolitischer Sprecher SPD-Bundestagsfraktion) die Erfolge der Liberalisierung für den Arbeitsmarkt; die Energiebranche habe eher Arbeitsplätze abgebaut. Auch die zunehmende Konzentration durch Fusionen und Beteiligungen bereite ihm Sorgen, früher hätte es in Deutschland eine sehr differenzierte Versorgungsstruktur gegeben. Die Verbände-Vereinbarungen sieht Jung generell positiv, aber durch immer kompliziertere Verhandlungen stelle sich die Frage, wie lange die Verbände-Vereinbarungen bei Strom und Gas noch Bestand hätten. Die Gefahr einer indirekten Regulierungsbehörde sieht Jung bei einer Ausweitung der Kompetenzen des Kartellamtes.
Dr. Peter Ramsauer (Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe) nannte die vierjährige Liberalisierungs-Phase erfolgreich, auch wenn man noch nicht am Ziel sei und noch Integrationshemmnisse bestünden.
Dr. Gert Maichel (Vorsitzender des Vorstandes RWE Power AG, Mitglied des Vorstandes RWE AG) hingegen bezeichnete den Staat als Preistreiber. Von den circa 7,5 Milliarden Euro Preissenkungen seit der Marktöffnung sei kaum etwas für den Verbraucher übrig geblieben. Die Strompreise stiegen, doch die Erzeuger schrieben weiter rote Zahlen. Mittelfristig führe an einer Erhöhung der Marktpreise kein Weg vorbei, sagte Maichel auf dem Handelsblatt-Kongress. Dies könnte durch Stilllegung von Kraftwerken bei leicht steigender Nachfrage erzielt werden. Derzeit gebe es noch Überkapazitäten in der Stromproduktion. Allerdings sei für die Jahre nach 2010/2012 bereits eine Versorgungslücke absehbar. Nur extreme Rationalisierungen und Restrukturierungen würden die Ergebnissituation für Stromerzeuger verbessern. Mit den Worten "Es gibt ein Licht am Ende des Tunnels, aber wir sehen es noch nicht" schloss Maichel seinen Vortrag.
Manfred Scholle (Präsident des Bundesverbandes Gas- und Wasserwirtschaft BGW und Vorstandsvorsitzender der RWE Gas AG,), lehnt eine Regulierungsbehörde für die Liberalisierung des Gasmarktes entschieden ab. "Das wäre ein massiver Eingriff in das marktwirtschaftliche System Deutschlands", sagte Scholle auf der 9. Handelsblatt-Jahrestagung Energiewirtschaft. Die zur Diskussionen stehende Einführung von Sofortvollzug und Beweislastumkehr wären ein wesentlicher Schritt zu einem indirekten regulierten Netzzugang. Dies könne politisch nicht gewollt sein, meint Scholle. Auch den EU-Vorschlag, den Netzbereich rechtlich und organisatorisch von den übrigen Unternehmens-Aktivitäten zu trennen, sieht er kritisch: "Die deutschen Gasversorger würden zu gläsernen Unternehmen für die wenigen Produzenten außerhalb Deutschlands." Dadurch wäre die internationale Verhandlungssituation nachhaltig verschlechtert.
Fotos zur 9. Handelsblatt-Jahrestagung sind digital und analog erhältlich.
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