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Deutsches Gesundheitswesen in der 2. Liga? Nachbericht zur 9. Handelsblatt Jahrestagung „Health“ 29. /30. November 2004, Berlin

Düsseldorf (ots)

Berlin, 29. November 2004. Über 200 Teilnehmer
diskutierten am 29. November in Berlin mit rund 40 Experten auf der
Handelsblatt- Jahrestagung „Health“ über das „Gesundheitswesen auf
Reformkurs“. Der Vorsitzende des Kongresses, Professor Dr. Günter
Neubauer (Institut für Gesundheitsökonomik), stellte für Deutschland
fest: „Wer in der Ökonomie in der 2. Liga spielt, braucht sich nicht
zu wundern, dass er in der solidarisch finanzierten
Gesundheitsversorgung auch 2. Liga ist.“ Die Probleme im
Gesundheitswesen seien eng mit der aktuellen wirtschaftlichen Lage
verknüpft, ist sich Neubauer sicher. Bei einem Wirtschaftswachstum
von 4,5 Prozent wäre auch das Gesundheitswesen in Ordnung. Der
Gesundheitsökonom forderte die Ablösung der Finanzierung von den
Arbeitskosten, eine Intensivierung des Wettbewerbs sowie mehr
Eigenverantwortung für Versicherte und Patienten.
Professor Dr. Eberhard Wille (Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre,
Universität Mannheim) erkennt bei allen Vorschlägen zur Reform der
GKV eine erstaunlich große Basis an Gemeinsamkeiten. Schwächen im
derzeitigen System sieht Wille in der Konjunkturanfälligkeit, da
Arbeitslosigkeit und Frühverrentung die Finanzierungsbasis schmälern.
Die Diskussion in Deutschland bewertet er als zu einseitig; es gäbe
viel mehr Möglichkeiten, das Gesundheitssystem zu finanzieren. Sein
Idealmodell ist die Kombination aus einer Bürgerversicherung und
einer Gesundheitspauschale für alle. Die Vorteile der
Gesundheitspauschale sieht Wille zum Beispiel durch fiskalische
Effekte gegeben: die Beseitigung der Konjunktur- und
Arbeitsmarktabhängigkeit und eine höhere Nachhaltigkeit durch die
Trennung der Gesundheitsversorgung von einer wachstumsschwachen
Finanzierungsbasis. Aber auch eine Stärkung des Wettbewerbs zwischen
GKV und PKV seien Vorteile, ebenso würde die Benachteiligung von
Zwei- gegenüber Einverdienerfamilien wegfallen. Ein Problem dieses
Modells wäre allerdings, dass eine Aufhebung der
Pflichtversicherungsgrenze und damit der PKV verfassungsrechtlich
fraglich ist. Wille erkennt zwar ein hohes Rationalisierungspotenzial
im System, stellte aber auch fest, dass dies auf keinen Fall
ausreiche, um die Probleme der Finanzierung zu lösen.
Über Qualitätssicherung in der Medizin referierte Professor Dr.
Axel Ekkernkamp (Unfallkrankenhaus Berlin). Er sieht durch die
sektorale Gliederung des Gesundheitswesens eine Beurteilung der
Qualität zum einen von Behandlungsangeboten, zum anderen in der
Ergebnisqualität nicht gegeben. Derzeit werde kein Geld im
Gesundheitswesen für sektorübergreifende Ergebniserfassung
ausgegeben, daher könne kein Krankenhausarzt seine
Behandlungsergebnisse nach verfolgen, stellte Ekkernkamp fest. Er
forderte die Aufhebung der doppelten Facharztstruktur und erklärte:
„Ökonomisierung führt zu Professionalisierung“. Erfolgversprechende
Wege seien Medizinische Versorgungszentren und Integrierte
Versorgung, meinte Ekkernkamp, da sich hier Qualität auch
wirtschaftlich lohne.
Über Lohnabkopplung der Sozialbeiträge sprach auch Alexander
Gunkel (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände BDA).
Gunkel machte eine deutliche Korrelation zwischen Sozialbeiträgen und
Arbeitslosigkeit im Ländervergleich aus. Deutschland stehe auf Platz
2, was die Höhe der Sozialabgaben angehe, merkte der
Hauptgeschäftsführer des BDA an. Die Gesundheitsprämie sieht er als
ein realistisches und überzeugendes Reformmodell an, da es zu einer
Beschäftigungszunahme von 2,4 bis 3,6 Prozent führe, während bei
einer Bürgerversicherung die Beschäftigung um bis zu drei Prozent
abnehme.
Für eine nachhaltige Gesundheitspolitik durch mehr Wettbewerb
statt Umverteilung setzte sich Dr. Ursula Engelen-Kefer ein. Die
stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB
mahnte eine Reform des Vertragsrecht im Gesundheitswesen an, sprach
sich für eine Abschaffung der Kassenärztlichen Vereinigungen aus und
forderte die Möglichkeit für Krankenkassen, mit Ärzten Einzelverträge
abzuschließen. Auch Engelen-Kefer sieht Vorteile darin, die
Versicherungspflichtgrenze abzuschaffen; für aktuell PKV- Versicherte
könne man einen Bestandsschutz festlegen. Um die GKV zusätzlich zu
entlasten, schlägt sie eine Besteuerung von Kapitalerträgen vor.
Kleine Kapitalanleger würden durch einen Sparfreibetrag geschützt und
die lohnabhängige Finanzierung könne bis zu zwei Prozent entlastet
werden. Engelen-Kefer sieht keinen Zusammenhang zwischen
Lohnabhängigkeit und Beschäftigung und beruft sich dabei auf eine
Studie des Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung GmbH IGES,
Berlin.
An der politischen Diskussionsrunde unter dem Motto „Deutsches
Gesundheitswesen in der Finanzkrise – Welche Wege führen aus der
Misere?“ nahmen Peter Dressen (Sprecher der AG Soziale Sicherung und
Gesundheit, SPD-Fraktion), Annette Widmann-Mauz
(Gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion) und Detelf
Parr (Abgeordneter FDP-Fraktion) teil.
Lohnabhängigkeit blockiere Arbeitsplätze, vor allem auch im
Gesundheitswesen, erklärte Widmann-Mauz und widersprach damit der
Auffassung von Engelen-Kefer. Eine Finanzierung über Steuern halte
sie für sozial gerecht, ebenso wie eine Belastungsgrenze von sieben
Prozent des Brutto-Einkommens für die Versicherten. Die
Festschreibung des Arbeitgeberbeitrags auf 6,5 Prozent ermögliche dem
Arbeitgeber, besser zu planen und wirke sich positiv auf den
Arbeitsmarkt aus. Widmann-Mauz forderte weiterhin die
Gesundheitspauschale auch für nicht-erwerbstätige Familienmitglieder.
Peter Dressen betonte die Notwendigkeit der Direktverträge
zwischen Ärzten und Krankenkassen und hielt die Finanzierung des
Kopfpauschalensystems für nicht nachvollziehbar. Als alleinige
Ärztevertretung schlägt er die Krankenkasse vor, die KVen wären damit
seiner Meinung nach überflüssig.
Detlef Parr stellte fest, dass weder die Bürgerversicherung noch
die Gesundheitsprämie nachhaltige Konzepte seien. Sie führten zu
einer Einheitszwangversicherung, die den Bürger bevormunde. Weiterhin
müsse der Leistungskatalog auf den Prüfstand. Durch das Ausgliedern
bestimmter Leistungen wie Zahnbehandlungen, Krankengeld und private
Unfälle könnten 26 Milliarden Euro gespart werden. Parr sprach sich
ebenfalls für eine Entkopplung der Gesundheitskosten von den
Arbeitskosten aus. Ein reformiertes Steuersystem mit 15, 25 und 35
Prozent sorge dafür, dass die Bürger den notwendigen Spielraum für
eine eigenverantwortliche Wahl hätten. Die Arbeitgeberzuschüsse zur
Krankenversicherung würden als steuerpflichtiger Lohnbestandteil
ausbezahlt, dadurch führten steigende Versicherungsbeiträge nicht
automatisch zur Erhöhung der Arbeitskosten. Für mehr Transparenz
würde das Kostenerstattungsprinzip sorgen. Jeder Patient erhalte
künftig eine Rechnung und könne dann entschieden, diese selbst zu
begleichen oder seine Versicherung damit zu beauftragen. Die heutigen
gesetzlichen Krankenkassen sollten in private
Versicherungsunternehmen umgewandelt werden. Die mehrfach
angesprochenen rechtlichen Bedenken hält Parr für lösbar.
Der Termin für die nächste Handelsblatt-Jahrestagung „Health –
Finanzierungskonzepte auf dem Prüfstand“ steht bereits fest: 28. und
29. November 2005 in Berlin. Die Vorankündigung sowie ein Rückblick
auf den aktuellen Kongress sind im Internet abrufbar unter:
http://vhb.handelsblatt.com/pr-health
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Weitere Informationen:
Claudia Büttner
Leiterin Presse/Internet
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Prinzenallee 3
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Tel.: 0211.96 86-3380
Fax: 0211.96 86-4380
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Ansprechpartner für die Redaktion:
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