Die Menge anstelle der Substanz betrachten
Umdenkungsprozess für Kombinationsanalgetika fortgeschritten
Ingelheim (ots)
In der Schmerztherapie zeichnet sich derzeit ein Paradigmenwechsel ab: Pharmakologisch puristische Standpunkte, die für eine Behandlung mit Monosubstanzen plädieren, scheinen überholt. Heute spricht alles für eine Kombinationstherapie, die das komplexe Gefüge der Schmerzwahrnehmung und die verschiedenen Schmerzmechanismen berücksichtigt. Dies wurde während des Pressegesprächs "Kopfschmerz und Migräne: Neubewertung der Kombinationsanalgetika im Jahr 2000" anlässlich des III. Internationalen Kongresses "Pain in Europe" in Nizza, deutlich.
Die Neubewertung der Kombinationsanalgetika wird möglich, weil einerseits ihre Wirksamkeit erwiesen ist, andererseits Sicherheitsbedenken ausgeräumt werden können. Dass die Kombination ASS plus Paracetamol plus Coffein effektiv ist, haben drei plazebokontrollierte amerikanische Studien gezeigt. Sie dienten als Grundlage für das U.S. Headache Consortium, um diese Kombination (in Thomapyrin(r)) im April dieses Jahres als Mittel der Wahl bei Migränekopfschmerz zu empfehlen. Dies berichtete der Neurologe Professor Gunther Haag, Elzach.
Der Vorwurf, Kombinationsanalgetika verursachten in höherem Maß Nierenschäden als Monopräparate, ist wissenschaftlich nicht zu belegen, betonte Professor Fokko van der Woude, Nephrologe am Klinikum Mannheim der Universität Heidelberg. Ein hochkarätig besetztes internationales Expertengremium, die Study Group on Analgesics and Nephropathy, konnte trotz umfassender Literatursichtung keinen Beleg darauf finden, dass die phenacetinfreien Kombinationsanalgetika für die Niere schädlicher seien als Monosubstanzen. Alle vorliegenden Studien wiesen gravierende methodische Mängel auf, sagte van der Woude. Das Gremium empfahl die Durchführung neuer epidemiologischer Studien, um den fraglichen Zusammenhang zwischen Schmerzmitteleinnahme und chronischem Nierenversagen endgültig zu klären.
Der Selbstmedikation zugängliche coffeinhaltige Kombinationsanalgetika rufen zudem nicht häufiger medikamenteninduzierten Kopfschmerz hervor als reine Monopräparate oder rezeptpflichtige Migränemedikamente. Darauf wies Professor Gunther Haag hin. Er wandte sich daher gegen die Bezeichnung "Analgetikakopfschmerz", da Substanzen wie Triptane oder Ergotamine ebenfalls Kopfschmerzen hervorrufen können. Der Entzug von coffeinhaltigen Analgetika ist zudem nicht schwieriger als der anderer Substanzen, die zu medikamenteninduziertem Kopfschmerz geführt haben - es gibt also keinen Anhaltspunkt dafür, dass Coffein eine Schmerzmittelabhängigkeit begünstigen könnte.
Als Konsequenz aus den neuen Erkenntnissen forderte Haag: "Wir sollten zu einer anderen Beurteilung der Schmerzmittel kommen - weg von der Substanz und hin zur Menge der konsumierten Medikamente." Der Patient solle nicht häufiger als an zehn Tagen im Monat und nicht länger als drei Tage in Folge ein Analgetikum einnehmen - dann sei er vor medikamenteninduziertem Kopfschmerz weitgehend sicher. Bei Beachtung dieser Grenzen spielten die Wahl des Präparats und auch die Dosierung nur eine untergeordnete Rolle, erläuterte Haag. "Der Umdenkungsprozess ist eingeleitet - vielleicht haben wir den Kombinationsanalgetika in den vergangenen Jahren unrecht getan", resümierte der derzeitige Präsident der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft seinen - auch ganz persönlichen - Wandel in der Einschätzung. Weiteren Aufschluss über die Wirksamkeit der Kombination aus ASS plus Paracetamol plus Coffein wird die Deutsche Thomapyrin-Studie bieten, die 1998 begonnen wurde und 1.700 Kopfschmerzpatienten einschließen soll. Ihre Ergebnisse werden 2002 erwartet - und von ihnen wird es wohl abhängen, ob die langwierige Diskussion um die coffeinhaltigen Kombinationspräparate endgültig abgeschlossen werden kann.
Quelle: Pressegespräch Kopfschmerz und Migräne: Neubewertung der Kombinationsanalgetika im Jahr 2000 30. September 2000, Nizza
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