Oliver Wyman-Analyse zu steigenden Lebensmittelpreisen
Hohe Rohstoffpreise beenden Ära der Preissenkungen
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München (ots)
- Die Rohstoffpreise bleiben hoch und sind starken Schwankungen ausgesetzt - Preisstabilität ist im Lebensmitteleinzelhandel künftig nicht mehr selbstverständlich - Die Discounter werden profitieren, Vollsortimenter geraten unter Zugzwang - Rückfall in "Preisaktionitis" und Handzettelschlachten muss vermieden werden
Nach den massiven Preissteigerungen bei Molkereiprodukten bleiben auch Margarine, Fleisch, Schokolade und Speiseeis von diesem Trend nicht verschont. Ebenso gehen die Preise vieler Agrarrohstoffe nach oben und sind starken Schwankungen ausgesetzt. Wenn die Vollsortimenter nicht reagieren, so eine aktuelle Analyse von Oliver Wyman, könnte diese Entwicklung den Discountern in die Hände spielen. Denn mit steigendem Preisniveau wächst die Bedeutung des Faktors Preis in der Entscheidungsfindung der Konsumenten noch weiter. Vollsortimenter sollten hier offensiv vorgehen: Mehr Kenntnisse über die Entwicklung an Rohstoffmärkten und bei Wettbewerberpreisen sind die Voraussetzung dafür, die Preisposition verteidigen zu können. Ein Rückfall in "Preisaktionitis" und Handzettelschlachten muss dagegen vermieden werden.
Die jüngste Erhöhung der Verbraucherpreise für Molkereiprodukte ist auf einen extremen Anstieg der Rohstoffpreise zurückzuführen. Zum einen liegt das an der Dürre in Australien, einem der weltweit wichtigsten Milchexporteure. Die dortige Milchproduktion ist in den letzten zwölf Monaten um rund sieben Prozent gesunken. Zum anderen sind strukturelle Faktoren ausschlaggebend. So hat die rasante Zunahme verarbeiteter Milchprodukte dazu geführt, dass die Nachfrage nach Milch seit 2000 jedes Jahr um mehr als zehn Milliarden Liter wächst. Beispielsweise werden bei der Produktion von Käse pro Kilogramm im Durchschnitt zehn Liter Milch benötigt. Gleichzeitig sind diesem Wachstum, das sich jährlich auf 1,8 Prozent beläuft, auch Grenzen gesetzt, etwa durch die von der EU festgesetzte Milchquote. Ein Übriges bewirken die zunehmende Nutzung von Ackerflächen für Mais und Raps zur Produktion von Biotreibstoffen sowie die gestiegenen Futtermittelpreise und Energiekosten.
Ähnliches gilt für Agrarrohstoffe wie Getreide oder Ölsaat. Ihre Preise werden sich vor allem durch den starken Ausbau der Biotreibstoffproduktion erhöhen. Laut OECD wird sich in den USA die für die Ethanolproduktion verbrauchte Menge Mais von 2006 bis 2016 auf rund 110 Millionen Tonnen verdoppeln, während die in der EU für Biotreibstoffe eingesetzte Weizenmenge sich auf zirka 18 Millionen Tonnen versechsfacht. "Die globalen Preise vieler Agrarrohstoffe werden auf einem höheren Niveau verharren", ist Sirko Siemssen, Handelsexperte bei Oliver Wyman, überzeugt. "Da die extrem niedrigen Lagerbestände Markteinflüsse durch wetterbedingte Ernterückgänge oder staatliche Eingriffe nicht mehr abfedern können, ist zudem mit stärker schwankenden Rohstoffpreisen zu rechnen." Hiervon werden zunehmend auch verarbeitete Produkte wie Speiseeis oder Joghurt betroffen sein, bei denen die Rohstoffe nur einen Teil der Herstellkosten ausmachen.
Neuer Schub für Discounter
Kein Handelsunternehmen in Deutschland wird sich dieser Entwicklung verschließen können. Angesichts einer durchschnittlichen Nettomarge von etwa einem Prozent werden Lebensmitteleinzelhändler die Kostensteigerungen im Einkauf an die Verbraucher weitergeben müssen. Die Konsumenten aber sind extrem preissensitiv. Einer Untersuchung von Oliver Wyman zufolge hat der Faktor Preis mit 49 Prozent die größte Bedeutung für die Zufriedenheit der Kunden mit den Händlern. Bei anziehenden Verbraucherpreisen wird der Stellenwert dieses Faktors noch weiter gestärkt.
Mittelfristig könnte durch die Entwicklung der Rohstoffpreise der Marktanteil der Discounter auf über 50 Prozent wachsen. Denn die Konsumenten werden wieder verstärkt zu Preiseinstiegsprodukten greifen und bei Händlern einkaufen, die ein sehr gutes Preisimage haben - so wie Aldi, Lidl oder Kaufland. "Die Zeit arbeitet für die Discounter", so Berater Siemssen. "Denn solange die Vollsortimenter ihr Preisimage in der Wahrnehmung der Konsumenten nicht verbessern können, spielt es auch keine Rolle, dass selbst Aldi, Lidl und Kaufland diverse Preise erhöhen."
Vollsortimenter müssen in die Offensive gehen
Die steigenden Rohstoffpreise werden für Vollsortimenter zu einer besonderen Herausforderung. Es wird schwieriger, dem schlechten Preisimage mit Preissenkungen zu begegnen und gleichzeitig eine Verbesserung der Konditionen im Einkauf durchzusetzen. Händler dürfen sich künftig noch weniger von Preisforderungen der Lieferanten und von Preissenkungen bei Wettbewerbern leiten lassen. Wichtig sind jetzt mehr Kenntnisse über die Entwicklung an den Rohstoffmärkten, über die Bedeutung der Rohstoffe für die Herstellkosten der Lieferanten und über die Preispolitik der Wettbewerber. Das ist eine nicht zu unterschätzende Aufgabe, da viele Händler ihre Verkaufspreise nach Standorten differenzieren.
Die Preis- und Sortimentspolitik muss noch aktiver gestaltet und von einer gezielten Kundenkommunikation begleitet werden. Händler mit Preisimagedefiziten werden sich über Sonderpreise und Aktionen gegen Kundenabwanderung stemmen. Neue Preis- und Handzettelschlachten wären allerdings ein Fehler, denn diese führen langfristig zu noch größeren Defiziten beim Preisimage. "Aussichtsreicher wäre stattdessen ein offensives Vorgehen bei Preislagen, Sortiment und Kommunikation gegenüber den Verbrauchern", betont Siemssen. "Eine Positionierung als Agent der Kunden, der sich dafür einsetzt, dass Preiserhöhungen nur geringe Auswirkungen auf die private Geldbörse haben, wird langfristig am erfolgreichsten sein."
Erfolgsfaktoren für Vollsortimenter
1. Durch steigende Rohstoffpreise bleibt die Bedeutung des Faktors Preis bei der Entscheidungsfindung der Kunden hoch. Davon werden die Preisimageführer profitieren. Es gilt, eine offene Flanke beim Preisimage zu vermeiden und die Leistungsdifferenzierung über Qualität, Bioprodukte und Convenience auszubauen.
2. Längerfristige Perspektiven im Einkauf sind erforderlich. Über Rohstoffmärkte und die Implikationen für die Herstellkosten der Lieferanten muss mehr Transparenz aufgebaut werden. Zudem heißt es, sich auf über das Jahr verteilte Preisanpassungen vorzubereiten.
3. Entscheidend ist ein fundiertes Verständnis der Preisposition pro Filiale im lokalen Wettbewerb. Deshalb gilt es, die Kenntnisse über die Preise der Wettbewerber weiter zu stärken.
4. Alle Hebel müssen genutzt werden, um nicht im Preisimage abzurutschen. Dazu gehört vor allem das aktive Management von Preisen, Preislagen und Sortiment sowie der Preiskommunikation.
5. Ein Rückfall in "Preisaktionitis" und Handzettelschlachten sollte nicht stattfinden. Sinnvoller ist die Positionierung als Agent der Kunden.
ÜBER OLIVER WYMAN
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