"Maischberger" am Mittwoch, 13. September 2017, um 22:45 Uhr
München (ots)
Das Thema: "Der verwirrte Wähler: Welche Partei steht noch wofür?"
Eine Kanzlerin, die konservative Inhalte ihrer Partei aufgegeben hat, ein Kanzlerkandidat, der an Eckpfeilern sozialdemokratischer Türkeipolitik rüttelt. Grüne Politiker, die nach mehr Polizei rufen, oder linke Politiker, die Asylbewerbern ein Gastrecht absprechen - viele politische Positionen lassen sich nicht mehr eindeutig bestimmten Parteien zuordnen. Die Zeit der klassischen Lagerwahlkämpfe ist vorbei. Kaum eine mögliche Koalition zur Bildung einer Regierung wird ausgeschlossen. Kein Wunder, dass sich die Hälfte der Wähler kurz vor der Bundestagswahl noch nicht für eine Partei entscheiden kann.
Die Gäste:
Johannes B. Kerner (TV-Moderator) Anja Reschke (ARD-Moderatorin) Ole von Beust, CDU (ehemaliger Hamburger Bürgermeister) Ralf Stegner, SPD (stellvertretender Bundesvorsitzender) Jan Fleischhauer ("Spiegel"-Journalist) Michael Kunert (Geschäftsführer Infratest dimap)
Johannes B. Kerner
Der Fernsehmoderator ist enttäuscht vom bisherigen Wahlkampf. "Es fällt schwer, Unterschiede zwischen den Parteien auszumachen. Mit richtigem Kampf um die besten Ideen hat das nichts zu tun." Außerdem kritisiert der 52-Jährige: "Die Parteien denken häufig nur von einer Umfrage zur nächsten und kümmern sich zu sehr um mögliche Koalitionen." Johannes B. Kerner wünscht sich stattdessen, dass die Parteien einen langfristigen Plan für Deutschland entwerfen und zehn oder 20 Jahre vorausdenken.
Anja Reschke
"Die Klage, dass Parteien für nichts mehr stehen, kenne ich, seit ich wählen darf, also seit Ende des Kalten Krieges", sagt die Journalistin. Sie frage sich, ob es überhaupt schlimm sei, wenn die Politik sich mehr an Herausforderungen als an Ideologien orientiere. Dennoch beobachtet die Moderatorin des ARD-Politmagazins "Panorama" eine Krise der Demokratie, weil sich Teile der Wähler und Politiker immer mehr voneinander entfremdet hätten. Der AfD sei zwar zugute zu halten, dass wieder mehr Menschen wählen gingen, doch dass sie die Demokratie beleben könne, glaubt Anja Reschke nicht: "Bisher konnte ich nicht erkennen, dass AfD-Politiker konstruktiv am demokratischen Prozess mitwirken. Es klingt oft mehr danach, als sei ein kompletter Umsturz das Ziel."
Ole von Beust
Der langjährige Erste Bürgermeister Hamburgs verteidigt Angela Merkel gegen konservative Kritik, auch ihren Schwenk bei der "Ehe für alle": "So ist eben der gesellschaftliche Wandel. Und es gibt doch nichts Konservativeres als die Ehe." Er beobachte auf seinen Reisen, dass Deutschland selbst in Oberbayern oder Franken "erheblich liberaler und offener ist, als man glaubt". Ole von Beust plädiert für eine Koalition mit der FDP nach der Wahl, "auch wenn ich ein Freund von Schwarz-Grün bin".
Ralf Stegner
"Die Kanzlerin hat keine Idee von der Zukunft", beklagt der SPD-Landesvorsitzende von Schleswig-Holstein. Sie pflege eine minimalistische Form des Auftritts, und das sei leider teilweise wirkungsvoll. "Aber inhaltlich hat sie wenig zu bieten", sagt Ralf Stegner. "Für mich sind Union und SPD die beiden Kanzlerparteien, die darüber streiten müssen, wer die Bundesrepublik führt. Wir kämpfen weiter um Platz eins", bekräftigt der SPD-Vize trotz schlechter Umfragewerte für seine Partei. "Unser Wahlziel ist, dass Martin Schulz Kanzler wird - daran arbeiten wir mit aller Kraft bis zum Wahltag um 18 Uhr."
Jan Fleischhauer
"Die CDU ist unter Merkel vergrünt und sozialdemokratisiert", konstatiert der Spiegel-Kolumnist. "Wer CDU wählt, bekommt SPD pur." Das TV-Duell habe gezeigt, dass sogar die SPD nicht wisse, was sie der Kanzlerin vorwerfen solle. Die politischen Lager seien nur noch schwer erkennbar, so der Bestsellerautor. Viele bürgerliche Wähler fragten sich, was sie wählen sollen, wenn sie sich wieder eine Opposition im Bundestag wünschen. "Die interessante Frage wird sein, wie AfD und FDP abschneiden", sagt Jan Fleischhauer und prophezeit, dass beide Parteien stärker würden, als es die Umfragen abbilden.
Michael Kunert
Die Bundestagswahl sei noch keinesfalls entschieden, sagt der Wahlforscher, der seit Jahren mit Infratest dimap die Wahlprognosen für die ARD erstellt. Ein Drittel der Wähler würde sich erst am Wahlwochenende entscheiden. "Die Identifikation mit Parteien nimmt ab." Auch die traditionellen Verbindungen in den politischen Lagern fielen weg, analysiert Michael Kunert: "Beispielsweise findet Kanzlerin Angela Merkel bei den Grünen mehr Zuspruch als SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz."
"Maischberger" ist eine Gemeinschaftsproduktion der ARD, hergestellt vom WDR in Zusammenarbeit mit der Vincent TV GmbH. "Maischberger" im Internet unter www.DasErste.de/maischberger Redaktion: Elke Maar (WDR)
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