Achtung: Korrigierte Fassung des SAT.1-Interviews mit den deutschen Geiseln
Werner, Marc und Renate Wallert
Berlin (ots)
Liebe Kollegen, wir bitten die 1. Fassung des SAT.1-Interviews mit den deutschen Geiseln Werner, Marc und Renate Wallert in dieser Form nicht zu verwenden (ots-Meldung vom 19.Mai 2000 um 14.25 Uhr), da sich einige Fehler in den Text eingeschlichen haben.
Es folgt eine korrigierte Fassung. Der Inhalt ist frei zur Veröffentlichung nur mit Hinweis auf SAT.1-Nachrichten / "blitz".
SAT.1-Reporter Steffen Schwarzkopf führte am 18. Mai 2000 mit den auf der philippinischen Insel Jolo verschleppten Deutschen ein Interview. Die Ausstrahlung erfolgte in "18:30", "blitz" und in den Spätnachrichten um 0.20 Uhr am 19. Mai 2000. Hier einige Auszüge aus dem Interview:
SAT.1: Haben Sie eine Botschaft an Ihren Bruder Dirk zu Hause in Göttingen?
Marc Wallert: Die Situation hier ist nach wie vor sehr, sehr schwierig. Bin immer noch besorgt um Mutti. Aber als Botschaft: mal positiv, wir kommen auf jeden Fall ´raus. Wir beißen die Zähne zusammen und mach dir keine Sorgen. Wir werden noch´n Bier zusammen trinken und dann sehen wir mal weiter - wann auch immer das sein wird. . . . Nimm´s einfach als positive Botschaft. Irgendwo im Kern geht es uns gut. Ansonsten geht´s uns beschissen und wir sehen uns wieder.
SAT.1: Das macht auf mich einen recht lockeren Eindruck. Also geht´s Euch so gut, wie es aussieht oder geht´s Ihnen, wie Sie sagen, beschissen?
Marc Wallert: (lacht) Ja, es ist der Galgenhumor. Irgendwann fängt man schon n´bisschen an zu lachen über die eine oder andere Meldung. Man kann hier absolut nichts glauben. Man weiß überhaupt nichts. Man lebt von einem Tag in den anderen.
Manchmal hat man die Hoffnung, dass man zwei Stunden später freikommt. Dann wird man wieder komplett vom philippinischen Militär überrannt und beschossen. Und dann fliegen die Granaten neben einen und schlagen da ein. Ich persönlich bin sehr stabil. Mir geht´s gut. Ich kümmere mich hier aus Leibeskräften um meine Eltern. Und ob der Schein trügt oder nicht - soweit bin ich fit. Ich hab auch selbst keine größeren körperlichen Probleme, im Gegensatz zu meiner Mutter und mittlerweile auch meinem Vater.
SAT.1: Wir haben gehört, dass es so wenig Reis gibt, manchmal auch gar nichts zu essen.
Marc Wallert: Ja, es gibt halt auch diese Tage. Das war wohl in erster Linie durch die Blockade vom philippinischen Militär bedingt, als kein Essens-Supply möglich war. Das heißt, wir haben hier teilweise auch mal einen Tag ohne Reis gehabt. Dann wieder einen Tag mit Reis. Manchmal teilt man sich dann doch de luxe eine Sardine mit elf Leuten. Das hat dann ein bisschen mehr Geschmack. Oder man kriegt einen kleinen Pott Sojasoße dazu. Ansonsten Reis, Reis, Reis, . . .
Wasser ist absoluter Engpass. Wir hatten teilweise fünf Tage, da hat man uns überhaupt kein Wasser gebracht. Da haben wir uns hier eine Konstruktion aufs Dach gebaut. Vielmehr unser französischer Kollege, der Herr Ingenieur, der hat dann so ein paar Bambusrohre verlegt. Und dann haben wir damit "Savoir survivre" praktiziert und so ein bisschen Wasser aufgefangen, in Benzinkanister gefüllt und den knappen halben Liter dann an jeden verteilt. ... Also hier ist natürlich Luftfeuchtigkeit und Nachtmärsche bis zu acht Stunden. Und dann am nächsten Tag nochmal acht Stunden. Also da ist ein halber Liter nicht viel. So dünn wie jetzt war ich noch nie! Die Verpflegung ist größtenteils beschissen. Wir haben uns riesig gefreut über die Tagesration von der französischen Armee. Die haben wir so über die Woche aufgesplittet und gegessen. Es war unbeschreiblich, so eine Paella zu essen.
SAT.1: Werden Sie korrekt behandelt?
Marc Wallert: Also man muss sagen, dass die uns wirklich in der Weise korrekt behandeln, dass die uns nicht unter Psychostress setzen. Es ist auch nicht so, dass man dauernd irgendwo ein Maschinengewehr direkt an der Schläfe hat oder in Handschellen hier sitzt. Sie tun sogar eher das, was sie können. Wir sind hier absolut privilegiert: mit einem Palmendach über dem Kopf und Schlafmatten auf Bambusrohren. Die Umstände sind trotzdem absolut schwierig, aber wir werden den Umständen entsprechend korrekt behandelt.
Renate Wallert: Seit sieben Tagen hatte ich mich nicht gewaschen, seit sieben Tagen! Heute geht´s mir gut. Auch wenn es nicht so gut aussieht. Es geht mir heute sehr gut. Ich kann heute schon wieder ein kleines bisschen laufen und ich habe keinen Durchfall mehr, den ich vier Tage hatte. Ich habe heute von einer Ärztin eine Flasche bekommen. Auch habe ich meinen Reis gegessen, den mein Sohn mir aufgetragen hat, damit ich nicht verhungere. Es schmeckt nicht gut, aber wir haben heute einen Hamburger gegessen und das war sehr schön. Es war wunderbar. Es war das schönste Essen in den letzten drei Wochen. Auch habe ich heute ein schönes Bad gehabt. Es war ein sehr netter Soldier, der mich auch die ganzen Tage immer von einem Camp zum anderen getragen hat - mit noch drei anderen Leuten. Der hat mir seine Flasche Wasser zur Verfügung gestellt und ich konnte mich einmal von meinen Männern richtig waschen lassen. Das war das erste Mal seit sieben Tagen, dass mein Körper Wasser gesehen hat. . . .
Sie bemühen sich alle, aber es gibt eben kein Wasser, auch nicht für die Küche. Deswegen müssen wir angebrannten Reis essen. Aber, sie haben nichts, sie teilen schon, das kann ich nicht anders sagen. Valid gibt uns auch Bonbons. Er versucht, uns mit Bonbons ruhig zu stellen. Aber die wichtigsten Dinge fehlen: Wasser, gute Nahrung, Toilettenpapier. Wir haben jetzt ein Stück Seife bekommen. Das ist sehr schön. Aber was nützt es? . . .
SAT.1: Ihr schlimmstes Erlebnis bisher?
Nachdem wir uns in der ersten Unterkunft durch Regenwasser ernährt haben, weil es kein Wasser mehr gab. Die Armee hat uns leider nicht an die Quelle gelassen. So waren wir auf Regenwasser angewiesen. . . In der Nacht mussten wir einen Gewaltmarsch machen, da bin ich schon das erste Mal zusammengekracht, weil ich zuviel anhatte. Einen Tag später mussten wir zusammenpacken. Wir hatten nichts Böses geahnt: Es war sehr heiß, kein Regen und wir lagen alle noch, hatten unsere Sachen gepackt. Plötzlich fing das Schreien an, dann gingen die Schüsse los. Mein Sohn hat sich über mich geworfen, mit seinem Körper, um mich zu schützen. Er hat immer gesagt, "Es wird alles gut, Mama. Es wird alles gut." Ich glaube, dass war das furchtbarste Erlebnis. Das werde ich nie vergessen, als mein Sohn versuchte, mich zu schützen. Er versuchte mich vor den Schüssen zu beschützen. Ich habe Angst gehabt. Wir haben uns gegenseitig immer festgehalten. . .
SAT.1: Man hat den Eindruck, dass Ihr Sohn sehr viel Hoffnung hat, Ihr Mann auch. Wie ist es bei Ihnen mit der Hoffnung? Oder ist es Angst? Und was sind das für Gefühle?
Renate Wallert: Ich hab sehr viel Angst. Ich habe einen nicht so guten Traum gehabt - meine Träume gehen in der Regel in Erfüllung. Ich bitte nur darum, dass der Traum nicht in Erfüllung geht. Ich hab schon gebetet zu Gott und ich hoffe, dass der nicht in Erfüllung geht. Ich darf den nicht sagen, weil ich Angst habe. Ich möchte wieder raus kommen und ich möchte nicht sterben. Ich hab´s vorgehabt. Ich wollte sterben, aber mein Sohn hat gebetet und gesagt, "Bitte Mama, verlass uns nicht. Wir brauchen dich." Und dann hab ich gesagt, entschuldige, dass ich diese Gedanken gehabt habe, aber wenn man hoffnungslos ist, dann hat man diese Gedanken. Dann möchte man wirklich nicht mehr leben und ich wollte ersticken. Aber es hat nicht geklappt.
SAT.1: Ganz Deutschland fiebert mit Ihnen. Haben Sie eine Botschaft an ihren Sohn Dirk?
Renate Wallert: Mein lieber Dirk und lieber Harald. Harald ist mein Bruder. Bitte gebt die Hoffnung nicht auf. Jetzt - wo die deutsche Presse hier ist. Vielleicht klappt es ja doch.. . . Gebt die Hoffnung nicht auf! Mir geht es heute gut. Ich kann allein in den Busch gehen und mich auch wieder allein erheben. Das ging bis jetzt nicht. Bitte grüßt alle, die an uns denken, die für uns gebetet haben. Sagt allen herzliches Dankeschön und ich werde sehr glücklich sein. Ich werde nicht in den Urlaub fahren. Wenn es geht, werde ich nach Donnersbach-Wald in den Urlaub fahren - wenn man mich dort unterbringen kann. Wir wollten nach Ecuador, aber wir werden nach Donnersbach-Wald fahren. Einfach um Ruhe zu haben. Ich will einfach Ruhe, ich will einfach Ruhe haben. Richtig schlafen. Wir haben viel Zeit hier, aber wir haben keine Möglichkeit, Ruhe zu haben. Alle gucken uns an - beim Schlaf, in der Nacht, am Tag. Wir sind wie die Affen im Stall - das ist so furchtbar. . .
SAT.1: Wie geht es Ihnen?
Werner Wallert: Man sagt immer so schön "den Umständen entsprechend gut", bis auf meine Frau, die sehr leidet. Das ist psychosomatisch bedingt. Sie hat also, das war ganz klar zu sehen, sie hat die 20 Stunden Bootsfahrt noch halbwegs überstanden und konnte auch noch andere trösten. Sie müssen sich mal vorstellen, 20 Stunden in einem Boot zu sitzen . . . praktisch bewegungslos - weil kein anderer Platz da war, haben wir in zwei Booten gesessen - 20 Stunden lang. Von oben die tropische Sonne tagsüber, Gewitterschauer. Das hat sie noch gut ausgehalten, aber als dann der erste Angriff . . . Das sollte vielleicht ein Befreiungsschlag oder so etwas sein. War aber absolut unprofessionell und machte überhaupt keinen Eindruck. Denn wir waren ja umgeben von etwa 600 bewaffneten Kämpfern und die haben mit Artillerie geschossen. Wir hörten wirklich die Granaten heulen und dann diesen Riesenknall. Es war einfach ein Glücksfall, dass sie uns nicht getroffen haben.
SAT.1: Wie werden Sie hier behandelt?
Werner Wallert: Die Behandlung hier, durch die islamische Gruppe, ist absolut korrekt. Es gibt keinerlei Übergriffe. Es gibt keinerlei Misshandlungen und dergleichen. Worunter wir leiden, ist erstmal die Ungewissheit, wann dieses Drama ein Ende hat und dann natürlich die allgemeinen Lebensbedingungen. . . . Für uns sind sie natürlich absolut schwer zu ertragen. Kleidung, Wassermangel - und man hat immer Angst. Ein kleiner Schnitt in den Finger und schon hat man eine Blutvergiftung - so etwas ist sehr sehr riskant. Wir müssen wirklich ganz schnell hier ´raus, besonders meine Frau.
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