"KANZLER IM GLÜCK"
SAT.1-Interview mit Bundeskanzler Gerhard Schröder am Mittwoch, 27. September 2000 um 0.15 Uhr
Berlin (ots)
Mit Bundeskanzler Gerhard Schröder schließen die SAT.1-Nachrichten am Mittwoch, 27. September 2000 um 0.15 Uhr, ihre Interview-Reihe mit deutschen Spitzenpolitikern. SAT.1-Chefredakteur Jörg Howe und Hans Schregelmann (Leiter der Parlamentsredaktion) trafen sich zum Gespräch mit Gerhard Schröder im Bundeskanzleramt in Berlin. Vorab einige O-Töne aus dem aufgezeichneten Interview. Die Interviewpassagen sind frei zur Veröffentlichung bei Quellenhinweis: SAT.1-Nachrichten.
Ökosteuer
SAT.1: Bringt Sie die Ökosteuer-Debatte um Ihre positive Halbzeitbilanz? Bundeskanzler Schröder: "Ich glaube nicht. Natürlich verstehe ich, dass der eine oder andere sich Sorgen macht um gestiegene Benzinpreise. Das gilt auch für das Transportgewerbe. Aber es ist wichtig, dass man weiß, die gestiegenen Benzinpreise haben wenig zu tun mit den steuerlichen Maßnahmen der Bundesregierung. Sie haben zu tun mit der Förder- und Preispolitik der OPEC und mit einer Preispolitik der Mineralölkonzerne. ... Wir haben reagiert und haben Maßnahmen für Pendler ergriffen und für die, die sozial besonders betroffen sind. Das muss es dann aber auch sein, denn wir können nicht durch steuerliche Maßnahmen dafür sorgen, dass die Mineralölkonzerne weitere Preissteigerungsmöglichkeiten bekommen."
LKW-Fahrerproteste
SAT.1: Berlin ist gerade von wütenden LKW-Fahrern heimgesucht worden. Sie sind sogar auf den Reichstag gezogen, weil sie nicht einsehen wollen, dass viele ihrer europäischen Kollegen entlastet werden, sie aber nicht. Beeindruckt Sie denn dieser Protest kein bisschen?
Bundeskanzler Schröder: "Doch, das beeindruckt mich natürlich. Übrigens, in Deutschland ist es Gott sei Dank so, dass jeder das Recht hat, seine Meinung zu sagen. Ob er sich immer selber hilft, bei diesen Blockaden, ist eine ganz andere Frage. Aber soweit das friedlich vonstatten geht, sich im Rahmen der Gesetze hält, gibt es dagegen keine Einwendungen. ... Es sind im Grunde Maßnahmen gegen Wettbewerbsverzerrungen in Europa. Und das einzelne Regierungen gehandelt haben, zu Gunsten von Subventionen für das Transportgewerbe, das kann nicht dazu führen, dass wir jenen Marktkräften, ...die Möglichkeit geben, ihre Preispolitik weiter zu machen. Was wir tun wollen für das Transportgewerbe, ist: gleiche Wettbewerbsbedingungen in Europa zu schaffen, z. B. dafür zu sorgen, dass Lohndumping auf den Fahrersitzen aufhört. Wenn große Transportunternehmen selbst, indem sie Weißrussen, Ukrainer - ich habe nichts gegen diese Menschen - für geringe Löhne beschäftigen, in Deutschland Preisdruck auf die Mittelständler ausüben, dann hat das wenig zu tun mit Steuern, sondern da müssen wir nachfassen und handeln. Wir brauchen in Europa gemeinsame Kriterien für diejenigen, die auf dem, wenn ich das mal so sagen darf, Fahrerbock sitzen dürfen. Wir brauchen einen gemeinsamen europäischen Führerschein..."
Rente
SAT.1: Glauben Sie, dass es eine realistische Chance gibt, die Rentenreform gemeinsam mit der Union zu stemmen? Bundeskanzler Schröder: "Ich habe immer noch die Hoffnung. Wir sind der Union in vielen Punkten entgegengekommen, weil wir das auch für vernünftig gehalten haben. ... Ziel ist, für die älteren Menschen die Rente so sicher zu machen, wie es irgendwie geht. Und für die jüngeren, sie bezahlbar zu halten... Das Kapitaldeckungsprinzip kann ich nicht preisgeben... Wenn die Opposition vernünftige Vorschläge hat, wird sie uns immer gesprächsbereit finden... Wenn nicht, werden wir das allein machen müssen, weil wir davon überzeugt sind, dass wir es den Älteren und den Jüngeren gleichermaßen schuldig sind."
Ladenschluss
SAT.1: Warum sperren Sie sich gegen eine weitere Lockerung des Ladenschlusses? Bundeskanzler Schröder: "...Es gibt wahrlich wichtigere Probleme als dieses."
Solidarzuschlag
Bundeskanzler Schröder: "Ich glaube, wir kriegen es hin, auch den Uneinsichtigen klarzumachen, dass wir einen Solidarpakt 2 brauchen und dass wir ihn auch auf absehbare Zeit brauchen." SAT.1: Das heißt auch Verlängerung des Solidarzuschlages? Bundeskanzler Schröder: "Das heißt es auch, ja!"
Deutsche Einheit
Bundeskanzler Schröder: "...Ich halte es da mit dem Bundespräsidenten und auch mit anderen klugen Leuten in der Union, die gesagt haben, wir dürfen keine Debatte in diesem Land führen, als wenn die Einheit einer Partei gehörte, sie gehörte den Menschen und gehört den Menschen. Und gemacht worden ist sie, bei allem Respekt vor den politischen Leistungen der damaligen politischen Führung, gemacht worden ist sie von den Menschen der früheren DDR."
Helmut Kohl
SAT.1: Im Ausland wird Helmut Kohl stark mit der deutschen Einheit verbunden. Stört Sie das nicht als Bundeskanzler?
Bundeskanzler Schröder: "Überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Ich habe mir nie angelegen sein lassen, seine persönlichen Leistungen zu relativieren. Warum sollte ich das? Ich habe nie die Angewohnheit gehabt etwa im Ausland, schlecht über politische Gegner zu reden. Das ist nicht meine Art. ... Mein Eindruck ist, durch die Art und Weise, wie Helmut Kohl mit seiner Partei, mit den Spenden, aber auch ein bisschen mit sich selber umgeht, trägt er sehr stark dazu bei, seine eigene historische Leistung selbst in Frage zu stellen. Das hat selbstzerstörerische, tragische Züge und wo das der Fall ist, kann man das durchaus bedauern, aber die Verantwortung dafür ist nun bei ihm selbst und nicht bei seinen politischen Gegnern, auch nicht bei der Partei, mit der er nun auch nicht gerade gut umgeht, deren Vorsitzender er nun mal 25 Jahre war."
Opposition
SAT.1: Wo sehen Sie die Opposition derzeit? Tritt gefasst oder heillos zerstritten? Bundeskanzler Schröder: "In einem Klärungsprozess, glaube ich, und der hat immer mit Streit zu tun. ... Es wird sich zeigen, ob sich die Fundamental-Oppositionslinie von Herrn Stoiber durchsetzt, der ja meint, egal was dabei rauskommt, Hauptsache Streit. Oder ob sich die eher vermittelnde Position von Frau Merkel durchsetzt. ... Aber es geht da um einen Machtkampf zwischen der Merkel-Linie und der Stoiber-Linie. Es ist nicht meine Sache, darüber zu richten. ... Im Moment hat wohl eher die Stoiber-Linie die Nase vorn, was für die gesamtstaatliche Auseinandersetzung nicht unbedingt zuträglich ist..."
Koalitionspartner Die Grünen
Bundeskanzler Schröder: "...Was ich mir bei den Grünen noch wünschte, wäre ein Schuss mehr Internationalität. Mehr Verständnis dafür, dass sich die Welt um uns herum nicht notwendig nach Grünen-Parteitagsbeschlüssen richtet..."
"Hol mir ma' 'ne Flasche Bier"
SAT.1: Jetzt werden Sie durch Stefan Raab noch zum Popstar mit "Hol mir ma' 'ne Flasche Bier". Das trägt sicherlich zur Popularität bei. Wie gehen Sie mit sowas um? Bundeskanzler Schröder: "Wenn das nicht übertrieben wird, wenn nicht Privatleben karikiert wird, gar Familie hineingezogen wird, dann ist das Berufsrisiko... . Und dann muss man damit leben. Ich werde deswegen nicht sein Fan. Aber es wäre nun auch überzogen, in einem solchen Fall, wo er einen Satz, der sicher aus dem Zusammenhang gerissen ist, karikiert und in ein Lied bringt oder was er für ein Lied hält, das ist ja nicht unbedingt gleichzusetzen mit dem, was ein Lied ist, dann denke ich, muss man damit leben." SAT.1: Gehen Sie zu ihm in die Sendung? Bundeskanzler Schröder: "Nein, das werde ich natürlich nicht machen. Aber ich habe sozusagen keinen Feind im Auge, wenn ich an ihn denke."
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Achtung Radiostationen: Ausgewählte O-Töne des SAT.1-Interviews mit Gerhard Schröder können auch über ORS empfangen werden.
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